Gewagt - Gewonnen
Ja, trotz allem, Per… Aber vier Tage später schlug Frau Liberg auf den Tisch. „Jetzt soll Astrid nach Oslo“, sagte sie zu sich selbst. Was sie zu dieser Entscheidung veranlaßte, stand auf der dritten Seite der Zeitung zu lesen:
„Verlobt haben sich Fräulein Gerda Harder, Tochter des Gutsbesitzers Eivind Harder und der verstorbenen Frau Irene, geborene von Plathen, und Tierarzt Per Mostvedt.“
Achten Sie auf Fräulein Liberg
„Nein, nein, Fräulein Selmo, das geht nicht! – Wenn Sie vor dem Tier Angst haben, dann können Sie ebensogut gleich aufgeben. Schon die allergeringste Angst reicht aus, um alles zu verderben. Nähern Sie sich dem Hunde ganz ruhig. Achten Sie auf Fräulein Liberg…“
„Es ist nicht nötig, dem kleinen Cockerspaniel ein Schnauzenband anzulegen, Frau Verner. Er ist nicht böse. Er ist nur neugierig. Lassen Sie ihn nur ruhig an dem Trimmesser und dem Kamm etwas schnuppern. Lassen Sie ihm Zeit. Ach, Fräulein Liberg, wollen Sie sich dieses Cockers einen Augenblick annehmen…?“
„Einen Bouvier? Ja, das können wir wohl übernehmen; aber wir müssen bei ihm mit mindestens fünf Stunden rechnen. Ist er launisch? O ja, es wird schon gehen. Ich habe hier eine Dame, die wird wohl mit ihm fertig werden. Fragen Sie nach Fräulein Liberg…“
Die Trimmesser arbeiteten, der Lehrer ging zwischen seinen Schülerinnen umher und lobte, tadelte, half und gab Ratschläge. Blaffen und Knurren und Winseln, ängstliche Hunde und phlegmatische Hunde, gutmütige Hunde und starke, bissige Ziehhunde und Wachhunde.
Ein solcher Hundetrubel!
Scherzworte flogen zwischen den Tischen hin und her – über Hundeleben, Hundstage, Hundewetter. Junge Damen in weißen Kitteln und Kopftüchern plagten sich ab, und Hundewolle und Haarbüschel flogen durch die Luft.
Astrid liebte diese Arbeit. Zuerst hatte sie sich in einer Art Verzweiflung auf sie gestürzt. Sie wußte ja selbst, daß es ihre Rettung sein sollte. Nach kurzer Zeit aber hatte die Arbeit sie gefangengenommen, und schon bald erkannte sie, daß sie hier in womöglich noch höherem Maße auf dem richtigen Platz war, als es bei Mostvedt der Fall gewesen war. Hier bedurfte sie ihrer ganzen Fähigkeit, mit Tieren umzugehen, und ihre flinken Finger arbeiteten schnell und doch schonend. Der Lehrer und ihre Mitschülerinnen überschütteten sie mit Lob. Sie hatte es nicht leicht, denn schon bald wurden ihr die schwersten Arbeiten aufgebürdet. Wenn es sich um artige kleine Pudel oder Bedlingtons handelte, dann waren die andern gern bereit, sie zu übernehmen; war es aber ein Fuchshund mit feurigem Temperament, ein übernervöser Cocker, ein grimmiger Schnauzer oder gar ein bösartiger Riesenschnauzer, dann mußte Astrid herbei.
Sie ließ sich das lange gefallen. Als aber zum vierten Male ein Pudel Fräulein Selmo überlassen wurde, erhob sie ihre Stimme: „Entschuldigen Sie, aber ich möchte ja auch gern lernen, wie man einen Pudel schert!“
Der Lehrer sah sie überrascht an. Dann lachte er:
„Verzeihen Sie, Fräulein Liberg. Selbstverständlich sollen Sie lernen, einen Pudel zu scheren. Fräulein Selmo, Sie müssen den Pudel Fräulein Liberg überlassen. Sie nehmen statt dessen den Drahthaarterrier.“
Fräulein Selmo war nicht sehr erfreut, daß sie den zappelnden kleinen Terrier scheren sollte, während der gesetzte Pudel in Astrids Hände gelangte.
Die Arbeitszeit verging im Nu. Astrid wurde ordentlich müde, und das war gut. Sie legte sich früh hin und konnte trotz der vielen schmerzlichen Gedanken gut schlafen.
Sie wohnte in einer kleinen Pension, wo sie ein nettes Zimmer und gutes Essen hatte. Sie hielt sich ganz für sich. Am Abend saß sie in ihrem Zimmer und las – wenn sie ihre Gedanken beisammenzuhalten vermochte. Oder sie entwarf Pläne für ihre Trimmanstalt. Oder sie schrieb einen Brief an die Mutter.
Liebe Mama!
Denke Dir, jetzt bin ich schon einen Monat hier. Merkwürdig, wie schnell die Zeit vergangen ist! Meine Arbeit gefällt mir noch immer sehr gut, und ich lerne eine ganze Menge. Ich denke so oft an das, was Du an jenem Nachmittag zu mir gesagt hast, daß ich alles Schlimme durchmachen müsse. Aber Du weißt ja, daß es doch recht schwer ist. Und am schlimmsten für mich war, daß ich gar keine Mitteilung erhielt. Hättest Du es mir nicht gesagt, dann hätte ich es also durch die Zeitung erfahren müssen. Ich finde, das war gemein von Per. Aber es hat ja keinen Zweck, darüber zu reden.
Ich sage mir
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