Gewagt - Gewonnen
Haar.
„Mein Kind! Ich will mich dir nicht aufdrängen. Aber wenn du das Verlangen spürst zu reden, dann rede. Ich weiß genau, wie dir zumute ist."
Astrid schluckte. Sie räusperte sich, schluckte wieder und sagte mit leiser, gequälter Stimme:
„Es… es gibt nichts zu reden, Mutti.“
Frau Liberg schwieg eine Weile und überlegte.
„Gewiß nicht. Nicht um deinetwillen. Aber siehst du, mein Mädchen: Wenn man merkt, daß einem Menschen weh ums Herz ist, und man möchte ihm gern helfen – und nun schon gar, wenn dieser Mensch das eigene Kind ist –, dann ist es doch scheußlich schwer stillzuschweigen. Kannst du das nicht verstehen?“
„Aber du kannst mir doch nicht helfen, Mutti. Niemand kann mir helfen. Und es liegt auch gar nichts vor, weshalb mir jemand helfen müßte.“
Frau Liberg biß sich auf die Lippe. Sollte sie trotzdem versuchen, alles zu klären? Sollte sie Astrid sagen, sie wisse – und habe es längst gewußt –, daß ihr Kind hilflos verliebt war, daß Mostvedt sich von Gerda hatte betören lassen, daß die Gesellschaft eine Enttäuschung gewesen war und daß es für sie keine Überraschung bedeute, wenn Mostvedt bei seinen Krankenbesuchen an den Nachmittagen Astrids Hilfe nicht mehr bedurfte?
Von alledem sagte sie nichts. Sie packte entschlossen das Kernproblem an und versuchte es mit einer Überrumpelung: „Aber wenn er nun wirklich so ist, Astrid, wenn Geld und Ansehen für ihn eine solche Rolle spielen, wenn er danach strebt, zu Gerdas Gesellschaftskreisen Zutritt zu erlangen… findest du, daß er es dann überhaupt verdient, daß du ihm nachtrauerst?“
Astrids Wangen röteten sich langsam.
Sie schlug die Augen nieder. Aber die Überrumpelung war geglückt.
„Es… es kann ja gut sein, daß er… sich in Gerda verliebt hat.“
„Kunststück, sich in ein Mädchen zu verlieben, das schön ist und obendrein schwer reich. Nein, Astrid, das ist nicht nach meinem Geschmack. Und im übrigen, mein Kind – es ist dein erster Liebeskummer. Er tut fürchterlich weh, solange er anhält; es ist eine fürchterliche Erfahrung, die man durchmachen muß. Aber man muß dergleichen nun einmal erleben. Es ist eine Stufe in der Entwicklung. Du tust mir schrecklich leid, wie du mir leid tatest, als du noch klein warst und Scharlachfieber und die Masern bekamst; aber ich wußte, daß du das nun einmal durchmachen mußtest. Das weiß ich auch jetzt, und ich weiß, daß du dich allein hindurchkämpfen mußt. Aber wenn du einmal mit einem anderen Menschen sprechen willst, dann hast du mich.“
Frau Liberg war eine kluge Frau. Nachdem sie gesprochen hatte, küßte sie Astrid leicht auf die Stirn und ging.
In den ersten Tagen sagte Astrid nichts. Nach dem Verlauf einer Woche aber erzählte sie ruhig, wenn auch mit einer etwas gequälten Stimme, sie habe eine Woche Ferien. Mostvedt wolle verreisen, und seine Praxis solle für eine Woche geschlossen bleiben.
„Soso“, sagte Frau Liberg und fragte nicht. Aber gerade deshalb fuhr Astrid fort:
„Er fährt in die Berge. Auf die Jagd. Zusammen mit Gerda. Harder besitzt eine Berghütte…“ Ihre Stimme brach.
„Schau an!“ sagte Frau Liberg, und sie fühlte ein inniges Verlangen, Per Mostvedt zu erwürgen.
Am nächsten Tage sah Frau Liberg eine Anzeige in der Osloer Zeitung. Es sollte dort ein Kursus im Trimmen von Hunden beginnen. Ein englischer Trimmlehrer wollte nach Oslo kommen.
Frau Liberg trug die Sache ein paar Tage mit sich herum.
Dann sprach sie mit Astrid darüber.
„Aber ich habe ja Arbeit“, wehrte Astrid ab.
„Glaubst du, daß sie eine Zukunft hat?“ fragte Frau Liberg vorsichtig. „Ich habe mir gedacht, es müsse dir doch Spaß machen, selbständig zu sein. Du könntest dir eine eigene Trimmanstalt einrichten. Die Arbeit wäre bei deiner Verliebtheit in Hunde doch gerade das richtige für dich. Und man hat nicht oft Gelegenheit, bei einem englischen Fachmann zu lernen.“
Astrid antwortete nicht. Die Mutter hatte ja recht. Es gab nicht einen einzigen Hundetrimmer in der Stadt. Es war gar nicht so selten vorgekommen, daß Hundebesitzer Per ihre Not geklagt hatten, wenn sie mit ihren Airedales, schottischen Terriern, Drahthaarterriern und Schnauzern in die Sprechstunde gekommen waren.
O ja, es wäre schon eine Arbeit für sie, aber sie ertrug nicht den Gedanken, daß sie ihre Stelle aufgeben sollte. Denn das bedeutete ja nicht nur, daß sie ihre Arbeit verlor: Sie mußte ihre lieben Tiere, sie mußte… Per verlassen.
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