Gewalten
dir vertraue!, aber für seine Träume kann man ja nix, stimmt’s?, und ich denk immer, dass wir jetzt so auf Distanz sind, ist aber eine gute Distanz, würde ich sagen, das hat auch mit der Scheidung zu tun, und dass wir dann, also im kritischen Alter, wenn das so alles verrückt spielt mit den Hormonen und so, bei meiner Mutter unter einem Dach gelebt haben, Mensch, das war Mord und Totschlag, die Frauen haben ja ständig ihre Tage, weißt du, und ich ständig am Wichsen, das konnt’ ja nicht gutgehen. Und ich war überhaupt ’n bisschen neben der Spur damals, hab geklaut und auch zu früh mit dem Saufen angefangen, ständig Probleme in der Schule, das war schon immer so, auch in der Zone, aber dann wollten sie mich zweimal von der Schule schmeißen, das war dann auf dem Gymnasium, und in der Zone musste ich ein paar Mal mit meiner Mutter zum Irrenarzt, »mal deine Eltern jetzt mal als Tiere und dich auch«, WENN ER KRANK IST , DARF ER NICHT MEHR RAUS , Mensch, haltet doch mal die Fresse jetzt!, na, nu bleib doch, ich hab doch noch gar nicht zu Ende erzählt, also, wo war ich stehengeblieben?, genau: auf dem Fensterbrett und der Sportplatz gegenüber. Ich war nämlich auch auf dieser Schule, weißt du. Und du hast da ja nicht nur dein Praktikum dort gemacht (Sozialassistent wolltest du werden, da muss ich dich später noch mal fragen, was das genau ist), sondern bist da ja auch als Abc-Schütze gewesen, was für ’n blödes Wort, kannst du dich daran noch erinnern?, Einschulung und so, also ich kann’s, und bist bis zum Abschluss geblieben. Ich glaube, die Lehrer, die ich da hatte, kannst du nicht mehr kennen,
sind jetzt woanders oder tot. Obwohl, dreizehn Jahre bin ich älter, da könnten schon noch welche da sein. Und den Hausmeister musst du doch kennen, den Schimmie, weiß gar nicht mehr, wie der richtig hieß. Der hat immer zwei Sachen, fast schon manisch, gesagt, eigentlich mehr gebrüllt: »Dir soll wohl der Arsch platzen!«, wenn er wütend war, der alte Schimmie, war immer geladen, und »heeme!«. Da haben wir lange gerätselt, was das wohl mit dem »heeme« auf sich hat. Das heißt ja nichts anderes als »zu Hause«, und das hat er fast in jedem Satz untergebracht. »Dir soll wohl der Arsch platzen, heeme!« Und irgendwann haben wir Kinder verstanden, was er damit, also mit
heeme
meinte. Er hat ja da, also in der Schule, mit seiner Familie gewohnt. Und wenn er da, auf seinem Grundstück sozusagen, unterwegs war und sich um alles gekümmert hat, für uns Kinder und die Lehrer (und damals noch für den Pionierleiter und die ganzen Parteibonzen, das wird dir jetzt nicht viel sagen) lauter technische, handwerkliche, organisatorische und was weiß ich noch für Dinge erledigt hat, und der Mann war beliebt bei uns, das kannst du glauben, da hat er sich eben, verdammt nochmal, so was von zu Hause gefühlt,
heeme
eben, das war schon ein lustiger Mann, der Schimmie.
Und vor kurzem erst, also im Juli 2009 , damit wir nicht durcheinanderkommen, wir stehen ja eigentlich immer noch vor deinem Haus, hat’s auf dem Schulgelände gebrannt, genau dort, wo die Garage mit Schimmies Auto ist. Das hab ich gar nicht mitgekriegt, obwohl es vielleicht fünfhundert Meter von meiner Wohnung entfernt ist und die Feuerwehr die ganze Nacht aktiv gewesen sein muss, während ich schlief. Das Feuer war zwischen dem Vordergebäude für die Grundschüler (und -schülerinnen) und
der Turnhalle. Die Flammen müssen ordentlich hochgeschlagen sein, Schimmies Auto natürlich futsch, keiner weiß, wie der Brand ausgebrochen ist, irgendeine Selbstentzündung, sagen sie. Ich seh heute noch die verrußte Fassade mit den schwarzen Fensterbrettern, wenn ich am Schulkomplex vorbeilaufe. EIN VERBRECHEN , DAS UNBE - GREIFLICH BLEIBT . Früher hätte man von meiner Seite aus die Gebäude nicht sehen können, da standen noch Wohnhäuser, die sind inzwischen abgerissen. SCHÜLER TIEF BETROFFEN . Also, wo war ich stehengeblieben?, da gab’s doch eben eine Überleitung, da hatt’ ich doch was im Satzfluss entdeckt, was mich dorthin zurück bringt, wo ich ursprünglich hinwollte, beziehungsweise schon war ... ja genau, Fensterbretter, also die verrußten Fensterbretter! Und da bin ich wieder auf meinem Fensterbrett, mit Fernglas stehe ich so und beobachte die kleinen Mädels beim Sport... aber fünfzehn, sechzehn waren die schon, neunte, zehnte Klasse, ich meine, ich bin doch kein verdammter Pädo, entschuldige, das geht jetzt nicht gegen dich, dein
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