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Gewalten

Gewalten

Titel: Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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normal, es gibt auch Männer, die sich sehr lieb haben. Ob meine Mutter gedacht hat, dass ich schwul werde? Aber spätestens in meiner großen Pornoheft-Phase zwischen dreizehn und achtzehn muss sie davon abgekommen sein, gar nicht so leicht, Pornohefte in einem Frauenhaushalt zu verstecken. Hast du auch Pornohefte gehabt? Oder zumindest die seichten Sachen,
Praline
,
Neue Revue
und so was? Oder hast du dir, da du ja doch irgendwann gespürt haben wirst, dass du ... sagen wir mal so: etwas anders fokussiert bist, diese FKK -Magazine gekauft? Da sind nämlich, versteh mich nicht falsch, eine Menge nackter kleiner Mädels drin. Nein, nein, das ist schon in
Ordnung, ich hab mir auch mal so ein Heft gekauft, weiß aber gar nicht, ob’s die überhaupt noch gibt. Aber es gibt ja auch den
Landser
und die
Junge Freiheit
, da wird so was sicher auch noch zu kriegen sein, obwohl, wir leben ja im Netz, da kommt man anders an Wichsvorlagen ran. Und richtig teuer ist das gewesen, dieses FKK -Magazin, ich bin zum Wichsen damit in den Wald gegangen, und wie peinlich mir das im Zeitungsladen war, wer kauft überhaupt so was, potentielle Kinderficker oder verklemmte Pädophile?, im Schwarzwald war das, bei einem Schachturnier, in dem Jugendheim war immer so viel los, dass ich einfach nicht zum Wichsen kam. Vierzehn bin ich gewesen damals, glaube ich. Hast du Internet gehabt, bei deiner Mutti? Warte, ich schau mal eben nach ... na, da sitzt du doch am Rechner, aber sobald ich näher rangehe, wirst du hektisch, ach scheiße, jetzt seh ich’s, du spielst
Monkey Island
, weil die neuen Spiele auf dem alten Teil nicht laufen. Nein, entschuldige, ich will nicht gemein zu dir sein, bin doch nur interessiert ... weißt du, ich bin nämlich ein Voyeur erster Klasse und interessiere mich furchtbar für solche Dinge, vor allem für die, die da aus dem Ruder gelaufen sind, also ich habe aber schon Interesse an der ... sagen wir: menschlichen Seele, und da will ich doch ganz vorsichtig mal bei dir reinschauen ... übrigens, natürlich bin ich auch am Fleischlichen interessiert, wenn du verstehst, was ich meine, ich hatte da mal sogar eine Zeitlang eine krankhafte Neigung, obwohl,
krankhaft
, das ist ja nun doch zu viel des Guten. Aber ich will und kann mich doch in dich reinfühlen sozusagen, da musst du keine Angst haben, da kannst du ruhig Vertrauen aufbauen ... WENN ER KRANK IST , DARF ER NICHT MEHR RAUS (Leipziger Volkszeitung, 18 .August 2009 ), MEIN MANDANT WAR IMMER
EIN AUSSENSEITER ; also ich habe, das ist nun schon fast zehn Jahre her, also muss ich so zweiundzwanzig gewesen sein, immer auf dem Fensterbrett gestanden, hinter der runtergelassenen Jalousie, und, ob du’s glaubst oder nicht, manchmal auch mit runtergelassener Hose, obwohl,
das
kann ich jetzt gar nicht mehr so genau sagen, nach so vielen Jahren ... mein Fernglas jedenfalls immer dabei, ein gutes Fernglas war das, nehm’ ich heute noch mit zu den Pferderennen, aber nur manchmal, weil man damit aussieht wie so ein blöder Rentnertourist, ein Streichholz zwischen zwei Lammellen der Jalousie geklemmt, und beste Sicht rüber auf den Sportplatz der Schule. Na, du kennst die Schule ja, da ist sie ja am 18 .August 2008 hergekommen, von den Ferienspielen, ich hab gar nicht gewusst, dass es so was wie Ferienspiele überhaupt noch gibt, ich dachte, das wäre so ’ne Zonensache; als ich in ihrem Alter war, also neun, sie war doch neun?, oder hab ich da jetzt ein Jahr unterschlagen, vorwärts oder rückwärts?, da sind wir auch immer zu den Ferienspielen gegangen, ich mit meiner Schwester, wir hatten so einen, wie hieß das noch gleich?
Ferienpass
, haben Radios gebastelt, mit denen man nur einen Sender empfangen konnte, Filme gesehen, Bilder gemalt, einmal auch in der Deutschen Bücherei mit so ’ner speziellen Siebgeschichte, und gebastelt auch viel, und dann gab es so ’nen Themenvormittag im alten Rathaus über Sagen und Legenden, da hat sich, das weiß ich noch, so ’n Heimkindtyp, entschuldige, das hat jetzt gar nichts mit dir zu tun, kannst du glauben, gemeldet und über Werwölfe mit Helm, ja Helm, erzählt, was für’n Schwachsinn, damals warn wir noch ganz eng, würd’ ich mal so sagen, also ich und meine Schwester, später sind wir ’n bisschen auf Distanz gegangen, kannst du dir vorstellen,
dass ich ein paar Mal, ist aber nun auch schon ’ne Weile her, geträumt habe, ich würde meine Schwester ficken?, also da red ich ja nicht gerne drüber, siehst du, wie ich

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