Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
nicht irgend etwas, sei einfach da.“
Es kann sehr frustrierend für jemanden sein, der Empathie braucht, wenn andere davon ausgehen, daß er Trost oder Ratschläge nach dem Motto „Wie bringen wir’s wieder in Ordnung?“ möchte. Meine Tochter erteilte mir einmal eine Lektion, die mich lehrte, mich zu vergewissern, ob meine Ratschläge oder mein Trost überhaupt gefragt sind – und zwar bevor ich sie gebe. Eines Tages schaute sie in den Spiegel und sagte: „Ich bin so häßlich wie ein Schwein.“
Frage nach, bevor du Ratschläge oder Trost geben möchtest.
„Du bist das wunderbarste Geschöpf auf Gottes Erdboden,“ verkündete ich. Verzweifelt verdrehte sie die Augen, rief aus: „Oh, Papa!“ und schlug die Tür hinter sich zu. Später fand ich heraus, daß sie Empathie gebraucht hätte. Statt meines Kompliments zur falschen Zeit hätte ich fragen können: „Bist du heute enttäuscht über dein Aussehen?“.
Meine Freundin Holley Humphrey hat einige weitverbreitete Verhaltensweisen entdeckt, die uns davon abhalten, so präsent zu sein, daß wir mit anderen in empathischen Kontakt treten können. Hier einige Beispiele solcher Hindernisse:
Ratschläge: „Ich finde, du solltest ...“ „Warum hast du nicht ...?“
Noch eins draufsetzen: „Das ist ja noch gar nichts; hör erst mal, was mir passiert ist.“
Belehren: „Das kann sich in eine ganz positive Erfahrung verwandeln, wenn du nur ... “
Trösten: „Das war nicht dein Fehler; du hast dein Bestes getan.“
Geschichten zum besten geben: „Das erinnert mich an die Zeit ... “
Über den Mund fahren: „Komm, lach mal wieder. Laß dich nicht so hängen.“
Bemitleiden: „Ach, du Armer ... “
Verhören: „Wann hat das angefangen?“
Erklärungen abgeben: „Ich hätte ja angerufen, aber ... “
Verbessern: „So ist das nicht gewesen.“
In seinem Buch When Bad Things Happen to Good People (Wenn guten Menschen Böses widerfährt) beschreibt der Rabbi Harold Kushner, wie weh es ihm getan hat, als sein Sohn starb und die Leute versuchten, ihn mit ihren Worten aufzumuntern. Aber noch schmerzlicher war für ihn die Erkenntnis, daß er zwanzig Jahre lang das gleiche zu anderen Menschen in ähnlichen Situationen gesagt hatte!
Der Glaube, wir müßten Situationen „in Ordnung“ bringen und dafür sorgen, daß es anderen wieder besser geht, hindert uns daran, präsent zu sein. Menschen in helfenden Berufen oder Psychotherapeuten sind besonders anfällig für diesen Glauben. In einem Seminar mit dreiundzwanzig Psychologen stellte ich einmal die Aufgabe, Wort für Wort aufzuschreiben, wie sie auf einen Patienten reagieren, der sagt: „Ich fühle mich sehr deprimiert. Ich sehe keinen Grund mehr weiterzumachen.“ Ich sammelte ihre Antworten ein und erklärte: „Ich werde jetzt laut vorlesen, was jeder einzelne als Antwort geschrieben hat. Versetzen Sie sich in die Person, die ihre depressiven Gefühle geäußert hat, und heben Sie jedesmal die Hand, wenn Ihnen ein Satz das Gefühl gibt, verstanden worden zu sein.“ Die Hände wurden nur bei drei der dreiundzwanzig Sätze gehoben. Fragen wie: „Wann hat das angefangen?“ gehörten zu den am häufigsten geäußerten Entgegnungen; sie geben den Anschein, daß der Fachmann die notwendigen Informationen für die Diagnose bekommt, damit er dann das Problem behandeln kann. Ein derart intellektuelles Erfassen eines menschlichen Problems blockiert jedoch genau die Art der Präsenz, die wir für die Empathie brauchen. Wenn wir über die Worte eines Menschen nachdenken und darauf hören, wie sie in unsere Theorien passen, dann schauen wir auf den Menschen – wir sind nicht bei ihm. Die wichtigste Zutat zur Empathie ist Präsenz: Wir sind ganz da für den anderen und seine Erfahrungen. Diese Qualität der Präsenz unterscheidet Empathie von vernunftmäßigem Verstehen und auch von Mitleid. Auch wenn wir uns manchmal dafür entscheiden, Mitleid zu haben, indem wir das fühlen, was die anderen fühlen, sollten wir uns bewußt machen, daß wir in dem Moment des Mitleidens keine Empathie geben.
Intellektuelles Verstehen blockiert Empathie.
Auf Gefühle und Bedürfnisse hören
Egal was jemand sagt, wir hören nur darauf, was er
a) beobachtet,
b) fühlt,
c) braucht und
d) erbittet.
In der GFK spielt es keine Rolle, mit welchen Worten unsere Mitmenschen ihr Anliegen ausdrücken, denn wir hören auf ihre Beobachtungen, Gefühle und Bedürfnisse und worum sie bitten, um die Lebensqualität zu
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