Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
ausdrücken. Er glaubte nicht daran, daß eine solche Authentizität möglich war, wenn sich die Menschen in den Rollen von Patient und Psychotherapeut begegneten. Rogers stimmte zu, daß Authentizität eine Grundvoraussetzung für Wachstum sei. Er blieb jedoch dabei, daß aufgeklärte Psychotherapeuten die Wahl treffen konnten, über ihre berufliche Rolle hinauszugehen und ihren Patienten authentisch zu begegnen.
Buber blieb skeptisch. Er war der Meinung, daß selbst wenn ein Psychotherapeut willens war und es ihm auch gelang, sich authentisch auf seine Patienten zu beziehen, eine authentische Begegnung dennoch so lange unmöglich wäre, wie die Patienten sich selbst weiterhin als Patienten und ihre Psychotherapeuten als Psychotherapeuten betrachteten. Er brachte zum Ausdruck, wie allein schon der Vorgang, einen Termin zu vereinbaren für ein Gespräch in einer Praxis und ein Honorar dafür zu bezahlen, um wieder besser zu „funktionieren“, es unwahrscheinlich mache, daß sich eine authentische Beziehung zwischen zwei Menschen entwickeln würde.
Dieser Dialog klärte meine eigene, schon lange empfundene Ambivalenz gegenüber der klinischen Distanz – eine heilige Regel in der psychoanalytischen Psychotherapie, wie ich gelernt hatte. Seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse in die Psychotherapie einzubringen wurde als typisches Anzeichen von Krankheit seitens des Therapeuten bewertet. Kompetente Psychotherapeuten hatten sich aus dem therapeutischen Prozeß herauszuhalten und als Spiegel zu fungieren, auf den die Patienten ihre Übertragungen projizieren konnten, die dann mit Hilfe des Psychotherapeuten durchgearbeitet wurden. Ich verstand die Theorie hinter der Verhaltensregel, daß der Psychotherapeut seine inneren Prozesse aus der Psychotherapie heraushalten und die Gefahr abwenden soll, daß er seine Konflikte auf Kosten der Patienten zur Sprache bringt. Gleichzeitig hatte ich mich immer unwohl damit gefühlt, die geforderte emotionale Distanz zu wahren, und darüber hinaus glaubte ich auch, daß es Vorteile haben kann, wenn ich mich selbst in den Prozeß mit einbringe.
So begann ich, damit zu experimentieren, anstelle der klinischen Sprache Ausdrucksformen der GFK einzusetzen. Statt das, was meine Patienten sagten, entsprechend den Persönlichkeitstheorien, die ich studiert hatte, zu interpretieren, gab ich ihren Worten meine Präsenz und hörte einfühlsam zu. Anstatt sie zu diagnostizieren, legte ich offen dar, was in mir vorging. Anfangs machte mir das große Angst. Ich machte mir Sorgen über meine Kollegen, wie sie auf die Authentizität reagieren würden, die ich in das Gespräch mit den Patienten einbrachte. Die Ergebnisse waren jedoch für beide Seiten, meine Patienten und mich, so positiv, daß ich mein Zögern bald überwand. Heute, nach 35 Jahren, ist das Konzept, sich selbst voll in die Patient-Therapeut-Beziehung einzubringen, nicht mehr ketzerisch, aber als ich anfing, so zu praktizieren, wurde ich oft zu Vorträgen vor Psychotherapeuten eingeladen, die mich aufforderten, ihnen diese neue Rolle zu demonstrieren.
Ich fühlte mich in Patienten ein, statt sie zu interpretieren; ich zeigte, was in mir vorging, statt sie zu diagnostizieren.
Einmal wurde ich gebeten, vor einer Versammlung psychologischer Fachkräfte an einer staatlichen psychiatrischen Klinik zu zeigen, wie die GFK in der Behandlung seelisch kranker Menschen helfen könne. Nach meiner einstündigen Präsentation fragte man mich, ob ich mit einer Patientin sprechen könnte, um deren Fall zu beurteilen und eine Empfehlung für ihre Behandlung abzugeben. Ich sprach etwa eine halbe Stunde mit einer neunundzwanzigjährigen Mutter von drei Kindern. Nachdem sie wieder hinausgegangen war, stellten mir die Klinikmitarbeiter, die für ihre Behandlung zuständig waren, ihre Fragen. „Dr. Rosenberg“, fing ihr Psychiater an, „bitte stellen Sie eine differenzierte Diagnose. Zeigt diese Frau Ihrer Meinung nach eine schizophrene Reaktion, oder ist es ein Fall von Psychose, ausgelöst durch Drogen?“
Ich sagte, daß ich mich mit solchen Fragen unwohl fühlte. Schon während meiner Ausbildung in einer psychiatrischen Klinik war ich mir nie sicher, wie ich die Patienten in den diagnostischen Beurteilungsrahmen einordnen sollte. Überdies hatte ich seither Forschungsberichte gelesen, die auf einen Mangel an Übereinstimmung unter Psychiatern und Psychologen in diesen Beurteilungskriterien hinwiesen. Die Forschungsberichte kamen zu dem Schluß,
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