Gewitter der Liebe
große Liebe war.
Nathan überredete Julia, bei einer Damenschneiderin in die Lehre zu gehen, leidenschaftlich unterstützt von Lilly. Vormittags arbeitete sie weiterhin im Büro, nachmittags lernte sie bei Miss Hopper alle Raffinessen, die man brauchte, um Kleidung herzustellen – vom Benutzen eines Schnittmusters bis hin zu Ziernähten, besonderen Nähten und verschiedenen Stoffarten. Die Arbeit machte Julia Spaß, auch wenn sie manchmal ein schlechtes Gewissen hatte, denn Nathan betreute in der Zwischenzeit Joseph, wo er doch selbst genug zu tun hatte. Oft sprang auch Lilly ein, doch die steckte mit dem Hausbau bis über beide Ohren in Arbeit – im Red Carpet arbeitete sie nur noch sporadisch.
Noch immer konnte sich Julia nicht vorstellen, eines Tages einen Modesalon zu eröffnen, doch Nathan und Lilly machten ihr Mut.
»Das wird ziemlich teuer«, sagte sie einmal zu Nathan, der sein Wort gehalten hatte und Julia höflich und zuvorkommend behandelte. »Und ich will nicht, dass du dafür aufkommen musst.«
»Ich habe genug Geld.«
»Ich weiß, aber ich stehe ohnehin schon so hoch in deiner Schuld.«
Er suchte ihren Blick. »Bitte hör auf, dir Vorwürfe zu machen, ich wollte dich aus freien Stücken heiraten. Oder hat mich jemand dazu gezwungen?«
»Das nicht, aber …«
»Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, wie du selbst zu dem nötigen Kapital kommst. Hast du die Grundstückspapiere von eurem Haus noch?«
Resigniert schüttelte sie den Kopf. »Bei dem Feuer ist alles verbrannt. Was hast du vor?«
»Ich werde zum Rathaus gehen und mich erkundigen. Da Ross auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist, müsste das Grundstück eigentlich dir zufallen. Oder würdest du dort ein neues Haus errichten wollen?«
»Niemals!«
»Und um ein Geschäft auf jener Straße aufzubauen, ist die Gegend ungeeignet, weil es ein reines Wohnviertel ist.«
Sie schob Joseph nachdenklich einen Löffel Brei in den Mund. »Und du meinst, ich könnte das Grundstück anstelle von Ross verkaufen?«
»Ja, wenn er deinen Namen mit eingetragen hat, geht das.« Nathan schnitt in Josephs Richtung eine Grimasse, die den Jungen zum Lachen brachte. Der Kleine versuchte bereits, die ersten Worte zu formen, und Julia bestand darauf, dass er Nathan »Daddy« nannte. »Morgen Vormittag erkundige ich mich. Wie ich Ross kenne, war er so egoistisch, das Grundstück nur auf seiner Namen zu kaufen, aber wir werden sehen.«
Wie sich herausstellte, war Ross doch etwas weitsichtiger gewesen als angenommen. Julias Name stand in der Besitzurkunde direkt unter seinem eigenen, und mit dieser frohen Botschaft kam Nathan heim.
Freudestrahlend fiel ihm Julia um den Hals. »Ich bin dir so dankbar für deine Hilfe. Ich selbst wäre niemals auf die Idee gekommen, dass ich das Grundstück verkaufen kann.«
Verlegen wehrte er ab. »Dafür hast du schließlich einen Geschäftsmann geheiratet.«
Sie wurde wieder ernst und schaute betreten zu Boden. »Ich wünschte, ich könnte die Ehefrau für dich sein, die du verdienst. Vielleicht, wenn die Erinnerung an Ross eines Tages verblasst ist …«
»Ich erwarte nichts, das weißt du«, sagte er bestimmt. »Also hör auf, dich ständig zu entschuldigen. Und nun geh, Miss Hopper erwarte dich sicher bereits.«
Nun, im Jahre 1852, erinnerte nicht mehr allzu viel an den Goldrausch. Nur noch vereinzelt sah man Männer in der Stadt, die an ihrer Kleidung, den breitrandigen Filzhüten und den dichten Bärten als Schürfer zu erkennen waren.
Aber das Gold hatte San Francisco zu einer reichen Stadt gemacht. An allen Ecken und Enden entstanden neue Wohn- und Geschäftsviertel und es kamen neue Einwanderer hinzu – diesmal keine Glücksritter, sondern Menschen, die in Kalifornien eine neue Heimat sahen.
Nur noch selten weinte sich Julia in den Schlaf. Sie war tagsüber so sehr beschäftigt, dass sie abends todmüde ins Bett fiel und auf der Stelle einschlief – das ersparte ihr die Erinnerung an Ross, der sie schmählich verlassen hatte. Sie wusste, dass er nie zurückkommen würde, doch es schmerzte sie nicht mehr so sehr wie zu Beginn.
Das Verhältnis zu Lilly war enger als je zuvor, und Julia fragte sich immer wieder erstaunt, wieso sie jemals an Lillys Glaubwürdigkeit hatte zweifeln können.
Im Sommer war das Gebäude fertiggestellt, das Lilly hatte erbauen lassen. Natürlich half Julia mit Freuden beim Aussuchen von Tapeten, Gardinen und Einrichtung; gemeinsam wählten sie die Dinge aus, die beiden Frauen
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