Gewitter der Liebe
den Tisch herum, zur Belustigung der anderen. An diesem Tag dachte Julia nicht an ihre verlorene Liebe und Nathan nicht daran, dass seine Liebe unerfüllt blieb. Sie waren nichts als eine glückliche Geburtstagsgesellschaft, die das neue Lebensjahr des jüngsten Familienmitgliedes feierte.
Normalerweise achtet Julia streng darauf, dass Joseph nicht zu viel Süßigkeiten naschte, doch nun drückte sie beide Augen zu, als sich ihr Sohn mit Schokolade und Zuckerkringeln vollstopfte.
»Ihr werdet sehen«, rief Lilly lachend, »bald ist er uns allen über den Kopf gewachsen und sagt uns seine Meinung.«
Atemlos ließ sich Nathan auf seinen Stuhl fallen; denn er hatte Joseph klargemacht, dass sein Steckenpferd müde sei und eine Pause benötigte bis zur nächsten Runde. Gehorsam lehnte Joseph das Spielzeug gegen das Vertiko und ließ sich mit den neuen, bunt bebilderten Bauklötzen auf dem runden Teppich vor dem Kamin nieder.
»Der Junge wird seinen Weg im Leben machen«, meinte auch Nathan, während er sich mit seinem Taschentuch über die Stirn fuhr. »Schließlich hat er eine große Zukunft vor sich.
»Die er nur dir verdankt«, fügte Julia mit sanftem Lächeln hinzu. »Ohne dich hätte er diese Möglichkeiten nicht.«
Er wusste, worauf sie anspielte. Joseph wuchs wohlbehütet in geordneten Verhältnissen auf und würde einmal das Geschäft übernehmen – ein Leben, das Julia ihrem Sohn nie hätte bieten können.
»Ich habe ihn als meinen Sohn angenommen und fühle mich wie sein Vater.« Er krempelte die Hemdsärmel hoch. »Dafür bist du mir keinen Dank schuldig, Julia.«
»Sie hätten das nicht tun müssen, Mr Banks«, warf Judith Garland ein. »Wenn Ihre Frau geahnt hätte, dass ihre Liebestragödie so tragisch enden würde, hätte sie sicher ihre Finger von diesem Mister gelassen.«
Julia war es peinlich, dass man über ihr Schicksal sprach, und sie sagte: »Ich bin nicht die einzige Frau in San Francisco, die von einem Goldsucher im Stich gelassen wurde, in der Stadt wimmelt es davon. Doch ich hatte das große Glück, einen guten Freund zu haben, der mir zur Seite stand. Andere Frauen haben es nicht so gut, sie sind auch sich allein gestellt.«
Die anderen nickten versonnen, denn es war nicht übertrieben, was Julia behauptet hatte. Nach dem Abzug der Glücksritter blieben die verlassenen Gefährtinnen zurück, nicht selten mit einem Kind. Zwar konnten diese Frauen dank der allgemein guten Löhne existieren, doch blieb ihnen eine gesicherte Zukunft verschlossen, wenn sie nicht einen Mann fanden, der sie heiratete.
Joseph hatte das Interesse an den Bauklötzen verloren und kam an den Tisch zurück, um Nathan zu einer weiteren Jagd durch das Zimmer aufzufordern. Und so machte dieser gute Miene zum bösen Spiel und mimte wieder das Ungeheuer, das von Ritter Joseph verfolgt wurde.
Währenddessen unterhielt sich Julia mit den beiden anderen Frauen über die Pläne für ihren Modesalon.
»Nathan hat ein Ladengeschäft für mich gefunden«, verriet sie. »Es liegt auch auf der Main Street, keine zweihundert Meter von hier.«
»Du meinst sicher den Laden des Uhrmachers, dem die Räumlichkeiten zu klein geworden sind«, sagte Lilly und nippte an ihrem Kirschlikör. »Ich dachte mir gleich, dass dieses Geschäft ideal für dich wäre. Die Konkurrenz liegt meilenweit entfernt und es hat ein großes Schaufenster, in dem du die neuesten Stoffe und Schnittmuster ausstellen könntest.«
Auch Mrs Garland zeigte sich angetan. »An Laufkundschaft wird es da nie mangeln, meine Liebe. Wie schön, dass Sie sich endlich dazu entschlossen haben.«
»Eigentlich hat sich … Nathan dazu entschlossen.« Noch immer zögerte Julia, ihn als ihren Mann zu bezeichnen. »Er ist davon überzeugt, dass ich mir zu wenig zutraue, obwohl es genug in unserem Geschäft zu tun gibt.«
»Wenn er dich so dringend in seinem Laden brauchte, hätte er dir nie den Vorschlag gemacht, bei Miss Hopper in die Lehre zu gehen.« Lilly wartete, bis Nathan sich zu Joseph hinunterbeugte und ihm etwas erklärte, dann fuhr sie mit gesenkter Stimme fort. »Siehst du denn nicht, was er damit bezwecken will? Du sollst etwas Eigenes haben, dich nicht fühlen, als wärst du eine Almosenempfängerin.«
Mrs Garland nickte zustimmend. »Ihr Gatte kommt sehr gut alleine zurecht, Sie sollten den Laden unbedingt anmieten, Mrs Banks.«
Und plötzlich fand Julia die Idee gar nicht mehr so übel.
Eine Woche später besaß sie ihr erstes eigenes
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