Gewitter der Liebe
Geschäft.
Gemeinsam mit Lilly stolzierte sie durch den leeren Ladenraum und richtete ihn im Geiste ein.
»Erinnerst du dich an damals, als wir hier ankamen?«, fragte Lilly mit versonnenem Lächeln. »Wir besaßen nichts außer ein paar Dollar und unser Leben.«
»San Francisco war eine schmutzige Stadt, mit ungepflasterten Straßen und schäbigen Hütten. Weißt du noch, wie wir unser Röcke anheben mussten, um unsere Kleidung nicht im Straßenschmutz zu ruinieren?«
Lachend lehnte sich Lilly gegen ein Regal, in dem bisher Uhrenteile aufbewahrt worden waren und in dem bald Knopf- und Perlenschachteln stehen würden. »Und ob ich mich daran erinnere. Ich war so enttäuscht von dieser Stadt, dass ich am liebsten sofort zurückgegangen wäre. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, welche Zustände damals hier herrschten – das Einzige, was mich lockte, war das Gold, das die Männer täglich herbrachten und im Saloon wieder ausgaben.«
»Aber es auch war eine aufregende Zeit«, fand Julia, während sie mit einem trockenen Tuch über die Schaufensterscheibe fuhr. »Es war alles so neu und ungewohnt, sogar das Wetter. Ich konnte mir schon damals nicht mehr vorstellen, zurück nach New York zu gehen – auch wenn es Ross nicht gegeben hätte. Mir hat es gefallen, Nathan zu helfen, seinen ersten Laden einzurichten. Lieber Himmel, wenn ich mich noch an das Durcheinander erinnere, das damals herrschte!«
Lilly trat zu ihrer Freundin und umarmte sie. »Es ist ganz nett, in der Vergangenheit zu schweigen, aber wir leben in der Gegenwart und können stolz behaupten, dass wir es geschafft haben: Du bist eine Ehefrau und Geschäftsinhaberin geworden und mir gehört ein gut florierendes Etablissement. Können wir uns mehr wünschen?«
Zaghaft widersprach ihr Julia. »Ich hätte noch einen Wunsch …«
»Und der wäre?«
»Ich wünschte, ich könnte Ross endlich aus meinen Gedanken verbannen und Nathan mein Herz schenken.« Sie wischte die Tränen fort, die ihr in die Augen gestiegen waren. »Ich wünschte wirklich so sehr, ich könnte ihm die Frau sein, die er verdient hat.«
Darauf wusste Lilly keine befriedigende Antwort und erwiderte daher mit weicher Stimme: »Du musst dir Zeit geben; eines Tages wirst du erstaunt feststellen, dass du Ross vergessen hast.«
»Wenn es doch nur so einfach wäre!«
»Einfach ist es sicher nicht, aber möglich. Ich war noch nie in solch einer Situation, daher kann ich dir keinen richtigen Ratschlag geben …«
»Und was ist mit Ted?« Julia konnte schon wieder lächeln. »Du kannst mir nicht länger erzählen, dass ihr nur beruflich miteinander zu tun habt.«
Lilly versuchte nicht länger, ihr Verhältnis zu dem Klavierspieler zu verharmlosen. »Also schön, du bist die Erste, die es erfahren soll: Ted und ich haben uns ineinander verliebt und sind ein Paar. Es ist mir etwas peinlich, das zu gestehen, da ich immer behauptet habe, ich würde das freie Leben bevorzugen und mich deshalb nie fest binden wollen.«
Julias Kummer war vergessen. Sie fiel Lilly um den Hals und gratulierte ihr. »Ich freue mich so für dich. Wenn du uns das nächste Mal besuchst, bring Ted bitte mit.«
»Nun ja, eigentlich wollten wir es vorerst geheim halten.«
»Was redest du da? Nathan und ich sind doch keine Gäste im Wild Cat , sondern deine Familie.«
Nun war es an Lilly, feuchte Augen zu bekommen. »Ich bin froh, solch eine wunderbare Familie zu haben. Wann, sagtest du, kommt die neue Ladung mit den Spitzendeckchen und den Porzellanfigürchen?«
»Das Schiff, die Seagull , müsste nächste Woche eintreffen. Ich hörte, dass es sich nicht nur um ein Handels-, sondern auch um ein Passagierschiff handeln soll.«
»Oh, dann wird sich das neueröffnete Hotel am Hafen aber freuen – und ich mich auf neue Gäste.«
Scherzend verließen sie das Geschäft.
Die Seagull traf wie angekündigt in der darauffolgenden Woche ein und brachte die ersehnten Waren für Nathans Kaufhaus. Virgil und Flynn hatten alle Hände voll zu tun, die Kisten in Empfang zu nehmen und auf den Wagen zu laden. Als sie eintrafen, musste das Geschäft für den Rest des Vormittags geschlossen werden, um die zahlreichen Waren in Ruhe einsortieren zu können.
Mit Feuereifer half Julia dabei, gab Anweisungen und schrieb Preisetiketten aus. Noch nie war das Sortiment größer gewesen, und als der Laden dann öffnete, warteten die ersten Passanten bereits ungeduldig auf Einlass.
Darunter war auch Lilly, die tatsächlich ihren
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