Gewitter über Pluto: Roman
Körperhaltung wieder in Richtung
Vorwurf und wollte unbedingt wissen, wie es Sera möglich gewesen sei, bis
zuletzt mit ihrem »schrecklichen Exehemann« im gleichen Haus zu leben.
»Leben? Wie kommst du da drauf?« staunte Sera. »Er war hier der
Bäcker. Ein wunderbarer Bäcker, wie ich schon mal erwähnt habe. Ich mochte
seine Semmeln. Ich mochte vor allem seine Mehlspeisen. Wenn ich mit jemandem
als Mann nicht zurechtkomme, heiÃt es noch lange nicht, nicht mit ihm als
Bäcker zurechtzukommen. Er hat mir die Wohnung überlassen. Und dann zog auch
meine Schwester ins Haus. Perfekt. Fabian hat mich in Frieden gelassen. Nicht
zuletzt, weil er kapiert hat, daà es besser für ihn ist, ohne Partner zu sein.
Wäre es anders gewesen, ich hätte ihm gerne eine Frau vermittelt. Aber anders
war es eben nicht. Es gibt Leute, die sind vollends fürs Alleinsein geschaffen. â Bist du so einer, Lorenz?«
»Warum fragst du?«
»Weil ich den Eindruck bekomme, daà du mich loswerden möchtest.«
»Unsinn. Ich will mit dir zusammensein.«
»Dann verhalte dich danach und hör auf, eifersüchtig zu sein ohne
Grund. Spar dir deine Kräfte für die Zeit, wo ich dir einen Grund wirklich
gebe.«
»Wie? Du hast jetzt schon vor, mich einmal zu betrügen?«
»Muà man dich betrügen, um dich eifersüchtig zu machen?« wollte Sera
wissen. Es war nun Winter in ihren herbstgrünen Augen. Schnee lag über dem
Laub, und der See war zugefroren. Und da war niemand, der in der Lage gewesen
wäre, eins von diesen Löchern ins Eis zu schlagen, aus denen man den frischen
Winterfisch angelt.
Lorenz verstand nicht. Was meinte sie denn? Andere Männer bewundern?
Flirten? Er schüttelte den Kopf. Dann fiel ihm ein, daà er Sera gegenüber nie
über jenen anonymen Drohbrief gesprochen hatte. Um sie nicht zu beunruhigen.
Ein Schreiben, das nach Aussage der Polizei immerhin von Nix stammte.
Davon hätte Lorenz jetzt gerne berichtet. Vor allem, um Sera zu
beweisen, daà er auch schweigen konnte. Daà er in der Lage war, etwas nicht zu erzählen. Doch so funktionierte das leider nicht.
Er konnte nicht mit seinem Schweigen angeben, indem er es brach. Das ist ein
häufiges Problem, daà manche Tugend nur dadurch besteht, daà sie unerkannt
bleibt.
Die wenigsten Menschen wollen gut sein, wenn niemand hinsieht.
Lorenz kämpfte mit sich. Er preÃte seine Lippen zusammen.
»Hör auf«, meinte Sera, »den Beleidigten zu spielen.«
Er wollte etwas sagen. Etwas Versöhnliches. Aber da klingelte es. In
der Türe stand die »letzte Raucherin«, jene voluminöse
Scherenschnittkünstlerin, die Lorenz im Verdacht gehabt hatte, den Drohbrief zu
verantworten. Nun gut, das lag weiterhin im Bereich des Möglichen: daà nämlich
Lou Bilten und Fabian Nix unter einer Decke gesteckt hatten. Lou, weil sie ihre
Schwester vor einem »Sexmonster« beschützen wollte, und Nix, um weiter in
seiner Werkstatt arbeiten zu können, die er offenkundig auch nach SchlieÃung
der Bäckerei und der Kündigung des Mietvertrags für sich in Anspruch genommen
hatte.
»Ich gehe«, sagte Lorenz und marschierte an Lous barrikadisch im Weg
stehender fleischiger Masse vorbei aus der Wohnung.
»Bis später«, rief ihm Sera gelassen nach. Winteraugen hin oder her,
es schien ihr nicht einzufallen, auf Lorenz wirklich zu verzichten.
Wahrscheinlich wollte sie ihn nur ein wenig zurechtbiegen. Das tun Frauen ganz
selbstverständlich. Es entspricht ihrem Naturell, diese Zurechtbiegerei. Und
zwar in jedem Bereich, weshalb bei Frauen häufig eine â vorsichtig gesprochen â
esoterische Ader vorliegt. Die Natur, die Naturgesetze, das Naturgegebene
werden nicht wirklich als unabänderlich akzeptiert, sondern eben samt einer
gewissen Verbiegbarkeit und Zurechtbiegbarkeit wahrgenommen. Frauen geben sich
groÃe Mühe, so lange auf einen Gegenstand â was immer das sein mag â
einzureden, bis der Gegenstand seine Form verändert. Minimal, mag sein. Aber es
beweist ihre Ãberlegenheit gegenüber dem, was Männer gerne Fakten nennen. Wobei
sich aus letzterem die Ansicht speist, Männer wären eher technisch veranlagt,
Frauen hingegen stärker emotional. Doch was man »emotional« nennt, ist ein
höchst funktionales Werkzeug, das in die Materie eindringt und die Atome
verschiebt. Oder
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