Gewitter über Pluto: Roman
konnte. Eine Landschaft wie ein halber Schubert.
Schönheit der Natur, jedoch ohne Liebesleid.
Eine ganze Weile saà er so und war nichts als ein Betrachter jener
im morgendlichen Licht langsam aufkochenden Landschaft. Die Tasse mit Kaffee,
den Frau Brüel ihm eingeschenkt hatte, als sei er irgendwie körperbehindert,
bemerkte er erst, als Stirling das Zimmer betrat.
»Noch lange gestern?« fragte Stirling.
»Geht.«
Es gab sicher aussagekräftigere Dialoge, doch die beiden Männer
belieÃen es dabei. Konzentrierten sich auf den Kaffee der Frau Brüel, welcher
übrigens hervorragend zubereitet war. Geradezu auffällig gut. Klar, denn daÃ
Frau Brüel eine Hexe war, konnte man ja überdeutlich sehen. Eine Nazihexe. Der
Kaffee mochte also verhext sein. Aber das ist wahrscheinlich jeder Kaffee. Dann
lieber einer, der schmeckt.
Als Mai Hillsand hereinkam, weià gekleidet wie eine Tennisspielerin
aus den Fünfzigerjahren, wurde es gleichzeitig ein wenig dunkler im Raum, so,
als sei jetzt selbst das Licht geblendet. Na gut, da streifte wohl eine kleine
Wolke über den ansonsten makellos blauen Himmel, eine Wolke, die freilich von
hier aus nicht zu sehen war.
Mai setzte sich, schlug ihre langen Tennisbeine übereinander und
zündete sich eine Zigarette an. Eine peinliche Stille breitete sich aus, die
allerdings nur Lorenz und Stirling peinlich war. Mai hingegen ⦠ja, sie war
jetzt ganz Zigarette.
Endlich stieà auch der Hausherr zu der kleinen Frühstücksrunde. Man
sah ihm an, daà er keine Minute geschlafen hatte. Und man sah ihm ebenso an,
wie aufgewühlt er war. Ganz anders als am Vorabend, wo eine zynische
Gelassenheit von ihm ausgegangen war. Jetzt aber nahm er mit einer hektischen
Bewegung Platz, schob seinen Teller zur Seite und legte auf die freigewordene
Fläche jenen Stein, den Stirling ihm anvertraut hatte. Und von welchem das
restliche Stück der ursprünglichen Oberschicht abgelöst worden war, sodaà nun
die Struktur aus parallel dahinziehenden feinen Linien in ihrer Gänze sichtbar
war. Woraus sich jedoch nicht etwa ein figurales Bild ergeben hatte, das den
Verdacht, es hier mit irgendeiner Art von »Kunst« zu tun zu haben, erhärtet
hätte. Ein Laie würde darum auch gesagt haben: Was sollâs? Ein Stein mit
Linien.
Rorschach aber war kein Laie. Er erklärte, daà gemäà seiner Analyse
das Alter dieses Objekts mit etwa zweihundert bis zweihundertfünfzig Millionen
Jahren angegeben werden könne.
»Das ist also ganz eindeutig ein altes Ding«, legte Rorschach die
Latte auf eine bedeutende Höhe, eine Höhe, an der sich nichts ändern würde, gleich,
wie ungeschickt die Springer sich in Zukunft auch anstellten.
»Und was sagt uns das?« fragte Stirling.
Rorschach erläuterte, daà die Linien nicht etwa nachträglich in den
Stein gefügt worden waren. Vielmehr wären sie Teil eines Fossils, eines
versteinerten Abdrucks.
»Eines Abdrucks wovon?« wollte Stirling wissen.
»Gute Frage«, sagte Rorschach. »Man könnte auf den ersten Blick eine
Pflanze vermuten, doch mir ist nichts dergleichen bekannt. Oder vielleicht eine
Flüssigkeit, dank derer sich viele schmale, engstehende Kanäle gebildet haben.
Aber das hält alles nicht stand. Darum habe ich mir die Mühe gemacht, den Stein
zu scannen, um ein topographisches Bild der Oberfläche zu gewinnen. Dabei hat
sich ergeben, daà sämtliche Rinnen die gleiche Tiefe aufweisen, jedoch in
gewissen, ebenso regelmäÃigen Abständen ist da jeweils eineâ¦eine
sehr viel tiefer in den Stein führende Schnittstelle, man möchte meinen, ein Rià . Egal, das braucht einen nicht aufzuregen.
RegelmäÃigkeit ist eher ein Zeichen von Natur denn von Kultur. Trotzdem â ich
war alarmiert. Und bin darangegangen, das Muster zu analysieren und die
Bereiche zwischen diesen dünnen, tiefen Schnittstellen isoliert zu betrachten.
Und siehe da: Alle weisen das gleiche System auf, die gleiche Folge aus einer zunächst
allein für sich stehenden Linie und sodann kleinen Gruppen, die entweder aus
drei oder aus vier solcher Spuren zusammengefügt sind. Wenn man nun die Linien
in Zahlen umsetzt, so erhält man die Reihe 1, 3, 4, 3 und 4. Zudem könnte man
die jeweilige Schnittstelle nicht ganz unlogisch mit einer Null bezeichnen.
Wobei sich die Frage stellt, ob man diese Null an den Anfang oder ans
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