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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Mann fremd geworden war.
Obzwar in alter Liebe und Zuneigung fremd geworden, aber fremd bleibt fremd.
Darum also Inger.
    Bloß, Inger war nicht da!
    Es bedeutete mehr als einen mächtigen Schrecken, den Lorenz ereilte,
als er in den Raum trat und dort, wo üblicherweise das Porträt von Munchs
Schwester hing, nun eine Lücke klaffte, die nicht gefüllt, sondern eher
unterstrichen wurde von einem kleinen weißen Computerausdruck, ergänzt von der
Unterschrift irgendeines leitenden Beamten, der die Entfernung des Bildes zu
Restaurationszwecken verantwortete.
    Als hätte man den unglücklichen Lorenz erwartet, standen zwei
Museumswärter nahe der geleerten Wandfläche. Sie sagten nichts, betrachteten
ihn nur in einer leicht vorgebeugten Haltung. Wie zum Sprung bereit. Vielleicht
fürchteten sie doch noch eine Attacke.
    Es war einer der seltenen Fälle, daß Lorenz die Landessprache
benutzte, als er sich jetzt bei den beiden Männern nach dem Bild erkundigte.
Der jüngere von ihnen gab die Antwort, und zwar in einem perfekten Englisch. Er
versicherte, es handle sich nur um eine kleine Ausbesserung, nichts
Dramatisches. Das Gemälde dürfte recht bald wieder an seinem alten Platz zu
bewundern sein.
    Lorenz dachte: So würden sie auch reden, wenn ein Atomkraftwerk
brennt oder eine Bohrinsel auseinanderbricht.
    Er fragte, wo das Bild jetzt sei.
    Nun, in den Restaurationswerkstätten. Wo auch sonst?
    Lorenz drehte sich um und ging. Der eine Wärter rief ihm nach, daß
der Zutritt selbstverständlich verboten sei, er müsse sich gar nicht erst
bemühen…
    Lorenz gab ein verächtliches Geräusch von sich, als würde er einen
kleinen Teil des eigenen Gehirns willentlich in Brand setzen. Ein zerebrales
Kabinett, auf das er gerne verzichten konnte. – Obgleich vorsichtige Menschen
jetzt einwenden würden, daß man nicht einfach ein Kabinett in Brand zu setzen
vermag, ohne einen Großbrand zu riskieren.
    Aber das war nicht der Moment für Kleinmut. Lorenz trat aus dem
Ausstellungsbereich und bewegte sich hinüber zum Verwaltungskomplex der
umfangreichen Einrichtung. Durch die Scheiben des langgestreckten Ganges
schaute er hinaus. Es war nun nichts mehr zu sehen außer dem wirbelnden Schnee.
Die Oper, das Meer, die Stadt, alles war verwoben im Strickmuster fließender
weißer Fäden. Ein wenig so, wie es bei der Geburt der Welt gewesen war, pure
Energie, sich ausbreitende Strahlung. Denn das darf man nicht vergessen, daß in
den ersten Sekunden des Universums bereits die Oper von Oslo, das Meer vor
Oslo, die ganze Stadt angelegt gewesen waren. Und angesichts dessen, wie es
jetzt dort draußen zuging, schienen die Dinge wieder in das strukturlose, bloße
Vorausgedachtsein des Urbeginns zurückzufallen.
    Doch das interessierte Lorenz nicht. Er wollte zu Inger. Er geriet
an eine unbewachte Kontrollschranke, eine erste Hürde, die er so leicht
übersprang, als habe der alte Sportsgeist nur darauf gewartet, wieder zum Leben
erweckt zu werden. Allerdings stellte sich sofort heraus, daß die Schranke
nicht so dumm war, wie sie aussah. Eine Sirene ging los. Lorenz begann zu rennen,
vorbei am Lift, hinein in ein Treppenhaus, in dem er sich rasch nach unten
bewegte. Er vernahm aufgeregte Stimmen über sich, lief weiter abwärts, stieß
dann aber eine unbeschriftete Türe auf und stürzte in einen Gang, dessen
Beleuchtung automatisch ansprang. Er schien sich in einem Lager zu befinden,
hetzte vorbei an Stapeln von Kartons, kam in weitere Räume, traf endlich auf
einen Menschen, einen Mann, den er nach den Restaurationswerkstätten fragte.
Der Mann fragte zurück, ob … Lorenz drängte ihn zur Seite und rannte weiter,
erreichte erneut ein Treppenhaus, enger als das erste, nicht so blitzblank. Es
war, als würde er sich in eine quasi schlechtere Gegend verirren. Und
tatsächlich bestehen ja auch modernste Gebäude aus guten und schlechten Bezirken,
aus Zentren und Peripherien, aus Wallstreet und Bronx, aus Ameisenhaufen und
Wüsteneien. Aus hellen Sphären und dunklen Schlünden.
    Lorenz befand sich nun eindeutig auf dem Weg in die dunklen
Schlünde. Allerdings wähnte er sich falsch. Er meinte zu spüren, daß er sich
von Inger entfernte. Ganz so wie in diesem Spiel, wenn Kinder durch das
Ausrufen von »kalt« und »warm« und den betreffenden Steigerungen wie »Nordpol«
und »Backofen«

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