Gewitter über Pluto: Roman
König wie in einem Puppenhaus saà und
sich beinahe wünschte, gestürzt zu werden, damit endlich etwas geschehe. Aber
da hätte er schon nach Afrika gehen müssen. Hier, in Oslo, kam niemand auf die
Idee, irgendwas oder irgend jemanden zu stürzen. Schon gar nicht in dieser
Residenz, die aussah wie aus einem Ausschneidebogen. Auch Lorenz fragte sich
oft: Was denkt sich so ein König? So ganz ohne die Macht, in den Krieg zu
ziehen und töten und leben zu lassen, ohne die Möglichkeit, »Kopf ab!« zu
schreien und ein wenig Furcht zu verbreiten. Klar, ein König konnte auch
einfach ein netter Kerl sein, der hin und wieder seinem Volk zuwinkte. Doch
dafür brauchte es ja eigentlich keinen König. Könige waren von Gott in die Welt
gesetzt worden, um einen Schrecken zu vermitteln und schluÃendlich gestürzt zu
werden. Ein König als »netter Kerl« war ein Widerspruch, unsinnig und
überflüssig. Und auÃerdem teuer, wie vieles Unsinnige und Ãberflüssige. Ja,
fast schien es, als würde dieser armselige, von niemandem gehaÃte (und, um
ehrlich zu sein, auch von niemandem geliebte) König seine Daseinsberechtigung
alleine daraus beziehen, ein teurer Spaà zu sein, den sich dieser Staat
leistete.
Aber weil das Schloà nun mal gleich oberhalb der Huitfeldts gate
lag, gehörte es zum Lorenzschen Donnerstagsritual, bei dem zweidimensional
anmutenden Komplex vorbeizuschauen und eine Weile die beiden lebenden
Zinnsoldaten zu betrachten, die nach einem strengen Plan die Front abschritten.
Der Donnerstag war Lorenzâ freier Wochentag. Und obwohl er auch jeden anderen
Tag hätte frei haben können, hielt er sich an diese Regel.
Schneefall hatte eingesetzt, zögerlich zuerst, auf eine
hüstelnde Weise, wie jemand, der in der rücksichtsvollsten Weise sein Gegenüber
auf eine, wie man so sagt, offene Hosentüre aufmerksam macht. Aber was nützt
alle Rücksicht, wenn das Gegenüber zu dämlich ist, den Wink zu begreifen? Es
dauerte nicht lange, da fiel der Schnee, getragen von einem heftigen Meerwind,
in dicken Flocken zur Erde. Das SchloÃ, die Soldaten, der Park, die Touristen
verschwanden hinter dem Geflirr der dahinschieÃenden Kristalle. Lorenz setzte
sich seine Mütze auf, stellte den Kragen hoch, schloà den Mantel, stemmte sich
gegen den Wind und bewegte sich zum Hafen hinunter, Richtung Oper.
Das Gestöber machte ihm schwer zu schaffen. Er war nicht mehr der
Sportsmann früherer Tage. Dennoch ging er zu FuÃ. Er wollte sich vom norwegischen
Wetter nicht seine donnerstäglichen Gepflogenheiten nehmen lassen. Denn er
haÃte die Osloer StraÃenbahnen, von der Metro ganz zu Schweigen. Da litt er
lieber.
Als er endlich das Museum erreichte, war die Stadt weià wie ihre
Oper.
Die wichtigste aller Gepflogenheiten an einem Donnerstag ergab sich
aus dem Besuch von Inger in Schwarz und Violett. Und als Lorenz nun â vom
Winter geradezu durchgeprügelt â in die geliebten Hallen der Munch-Sammlung
eintrat, empfand er eine warme Erregung. Nicht, daà er nicht auch an diesem Ort
beseelt war vom Zustand des Verlorenseins, doch in Anbetracht der in ihrer
Verschränkung maÃlos schönen Inger brauchte sich Lorenz nicht mehr so alleine
zu fühlen. Es muà nämlich gesagt werden, daÃ, obgleich Lorenz und Sera
weiterhin das darstellten, was man ein »gutes Paar« nennt, Lorenz in diesen
drei Osloer Jahren auch in seiner Ehe in einen Zustand der Einsamkeit geraten
war. Er fühlte sich unverstanden, vor allem unverstanden, was die Qual betraf,
wieder beide Seiten der Welt wahrnehmen zu müssen. Zudem unverstanden in seiner
Ablehnung Oslos, umsomehr, als Sera, der es anfangs alles andere als egal
gewesen war, praktisch über Nacht ihr Wien und ihre Wohnung und ihre Schwester
aufgeben zu müssen, sich einerseits in der ihr eigenen gescheiten Art in das
Unauflösliche eingefügt und in der Folge eine groÃe Zuneigung für Oslo und die
Osloer entwickelt hatte. Sie mochte den guten Geschmack, die hohe Bildung und
die weltoffene Art dieser Leute. Und im Gegensatz zu Lorenz beging sie nicht den
Fehler, zu meinen, sie sei es Wien schuldig, Oslo zu hassen. (Wobei gesagt
werden muÃ, daà Wien genau zu jenen »almamahlerischen Damen« zählt, welche
derartige Gefühlswallungen einfordern.) Dieser durchaus vernünftigen
Einstellung Seras war es zu verdanken, daà sie ihrem
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