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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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private oder wenigstens halbprivate Sache. Die
Frage ist nämlich die, ob jemand, der seine Suppe nicht essen will, einfach nur
renitent ist oder ob es vielmehr einen guten Grund dafür gibt. Die Suppe kann
ja etwa vergiftet sein. Und würde es nicht auch reichen, festzustellen, daß
diese Suppe schlecht schmeckt? Und daß es eben eine Frage des Verstandes und
des Herzens ist, statt einer schlechten Suppe sich eine gute Suppe kommen zu
lassen? Woraus wiederum mit Sicherheit ein Gefühl guter Laune resultieren
würde. – Ich weiß nicht genau, warum das so ist, aber es scheint ein
mysteriöses Prinzip der Politik zu sein, den Bürgern schlechte Suppen vorzusetzen.
Ich bin zuwenig Mensch, auch nach fünfzig Jahren nicht, um beurteilen zu
können, ob das Elend politischer Suppenherstellung auf Unfähigkeit oder
Bösartigkeit basiert.
    Jedenfalls versuche ich mit meinem kleinen Magazin dem Publikum Wege
zu weisen, sich eigene Suppen herzustellen und ein Gefühl dafür zu entwickeln,
wie gut etwas schmecken kann, das nicht versalzen ist und nicht aus der Tüte
stammt. – Meine Gegner freilich sprechen von abgehobener Lyrik, philosophischem
Unfug oder neobiedermeierlichem Gesülze. Doch wer eine Frau wie Maritta an
seiner Seite weiß und sich tagtäglich in den Wäldern um Botnang ein wenig von
der Kraft der Natur in die Nase zieht (ich kenne Koks bestens, ich weiß also um
den Unterschied), der hält solche Angriffe ganz gut aus, nicht minder die
Ignoranz, die einer schöngeistigen Zeitschrift leider Gottes zuteil wird.
    Was nun an meinem Auftrag (heutzutage heißt das wohl
Mission) besonders verwirrt, ist der Umstand, daß nicht nur das Fossil eines
Urvogels zur Ladung gehören soll, sondern auch ein Picasso. Ich habe es ja
schon angedeutet, daß unsere eigenen Museen schrecklich überfüllt sind.
Darunter nicht wenige Bilder im Stile des berühmten Spaniers.
    Picasso ist ein Maler, den ich wenig schätze. Seine Meisterschaft
ist die eines Mannes, der von anderen abmalt und es dann hinkriegt, das Fremde
für das eigene auszugeben. Beziehungsweise den Eindruck erzeugt, das Fremde –
also die Kunst der Kollegen – in etwas Neues, eben Picassoartiges verwandelt zu
haben. Das ist aber ein Punkt, den ich nicht erkennen kann. Wenn ich Picasso
mit den Malern vergleiche, von denen er abgemalt hat, sehe ich nichts Besseres
oder Moderneres. Das Originellste an Picasso ist wahrscheinlich seine
tatsächlich imponierende, höchst selbstbewußt aufgetragene Signatur. Und vor
allem sein Leben, die Präsentation seines Lebens auf dem Silbertablett der
Künstlerklischees. Die Malwut, die Frauen, der Stierkampf, die politische
Geste, das Leben eines Bohemiens gepaart mit bäurischer Einfachheit, alles
kokett, alles im Bewußtsein des Fotografiertwerdens. Das merkt man auch den
Kunstwerken an. Sie sehen alle aus, als seien sie Teil einer Fotoreportage, als
sei ihr Entstehen kein intimes, sondern ein latent öffentliches gewesen. Mal
abgesehen davon, daß es von niedriger Gesinnung zeugt, derart viele Werke in
die Welt zu setzen, als wollte man die Welt mit der eigenen Kunst zuschütten,
um jetzt nicht von zuscheißen zu sprechen. Picasso hat das Bedürfnis des
Publikums nach einem omnipotenten Frauenhelden und Jahrhundertgenie in Person
eines unansehnlichen kleinen Mannes befriedigt. Das scheint die Menschen
anzuturnen, nicht nur die Männer, die sich logischerweise gerne vorstellen,
selbst noch als häßliche Greise die Jungfrauen ins Bett zu schleppen, sondern
offenkundig ebenso die Frauen, die sich mit Hilfe dieser napoleonischen Männer
in eine höhere Sphäre schrauben, nicht allein die dummen Gänse, auch die
gescheiten Gänse. Das ist heute nicht viel anders als zu Picassos Zeiten. Ich
wundere mich immer wieder, was für kluge und attraktive und nicht selten
charismatische Frauen sich an die Seite von Männern begeben, die auf eine
unappetitliche Weise alt und auf eine clowneske Weise anstrengend geworden
sind, die jedoch im Verdacht stehen, genial zu sein. Genial im Sinn einer
unübertragbaren Krankheit: ein Virus gleich einem Pudelkern. Entweder hoffen
diese Frauen, sich trotzdem irgendwie anzustecken. Oder sie meinen, als
höchstpersönliche und ihrerseits geniale Krankenschwestern zu fungieren.
    Ich liebe Braque, ich liebe vor allem Rousseau, ich mag Modigliani
und finde auch Matisse ganz okay, aber

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