Gewitter über Pluto: Roman
Picasso ist mir ein Greuel, weil nun mal
jeder Picasso eine Fälschung ist, zumindest ein Betrug. Und darum bin ich wenig
erfreut darüber, nicht nur einen in der Tat sehr beeindruckenden und
unverzichtbaren Vogel, sondern dazu einen durchaus verzichtbaren Picasso durch
das Weltall schippern zu sollen. Na, wenigstens handelt es sich um keine dieser
von Picasso in seinen späten Jahren massenhaft hergestellten Schmierereien,
sondern um ein Werk aus der rosa Periode, ein Werk, das in keinem der
Werkverzeichnisse aufgeführt ist: »Junge Frau mit Hündchen«.
Auch tröstet es mich, nur einen Diebstahl
begehen zu müssen, nämlich das Fossil betreffend. Der Picasso hingegen scheint
bereits in unserem Besitz zu sein. In meiner Order heiÃt es, es werde noch eine
Nachricht an mich ergehen, wo ich den Picasso in Empfang zu nehmen habe. Sodann
solle ich mit den beiden sichergestellten Objekten nach Portland fliegen.
Letztendliches Ziel sei der Mount Hood, genauer gesagt ein auf dessen Südseite
gelegenes Hotel namens Timberline Lodge. Dort werde man mich erwarten. Das
Raumschiff befinde sich in der Nähe des Hotels. Geplante Zahl der Besatzung:
fünf.
Was für fünf? frage ich mich. â Frauen? Männer? Hunde? Doch darüber
weià ich nichts. So wie man mir auch mit keinem lilafarbenen Wort erklärt hat,
wie es zu bewerkstelligen sei, den Archaeopteryx aus dem Solnhofener Museum
herauszubekommen und durch die diversen Kontrollen nach Amerika zu schmuggeln.
Das bleibt mir wohl selbst überlassen. So viel zur Präzision von Befehlen.
Dies also ist der Auftrag, den ich nach fünfundzwanzig
Jahren Sendepause von meinen Vorgesetzten erhalten habe. Ohne daà ich sagen
könnte, ob es sich um dieselben Vorgesetzten wie vor fünfundzwanzig Jahren handelt und inwieweit sich die Firmenpolitik seither
geändert hat. Stellt es noch immer eine Maxime dar, den Menschen das Wissen
vorzuenthalten, nicht alleine in diesem Sonnensystem zu leben? Gilt noch immer
unser Grundsatz, sich in die inneren Angelegenheiten der Erde nicht einmischen
zu wollen? Und wie sieht es mit jener Regel aus, nach welcher wir uns das
Verbot auferlegt haben, die Erde zu plündern? Ich meine, angesichts eines
Picassos, dessen Existenz, würde sie bekannt werden, sicherlich für einige
Aufregung in der Kunstwelt gut wäre. Abgesehen von der Aufregung, die auch
auÃerhalb der Kunstwelt losbräche, würde die Entführung des Gemäldes in den
Weltraum ruchbar werden.
Und dennoch, mein Problem ist nicht der Picasso, sondern der Vogel.
Ich fühle mich unwohl. Alles geht dem Ende zu, mein Leben
mit Maritta, das gut und gerne weitere zehn Jahre hätte dauern können, meine
Botnanger Idylle, meine kleine Zeitschrift, meine Spaziergänge, meine
bescheidenen Aktivitäten, mein Glück.
Ja, ich bin Agent und werde gezwungen sein, ein Verbrechen zu
begehen. Ein Objekt zu rauben. Und Gott gebe, daà es damit getan ist.
Aber was soll ich sonst tun? Mich blindstellen?
Nein, Blindstellen ist nicht drin. Nicht bei jemand, der noch ein
paar hundert Jahre vor sich hat und schlieÃlich irgendwann auch wieder zurück
in seine Heimat will. Sowenig dort das Glück der Liebe auf ihn warten mag.
11Â | Â Knigge
Gott sei bedankt, daà es mir gelang, die holographische
Nachricht zu Ende zu lesen, bevor sie zu einer Pfütze zerfiel. Sodann wischte
ich sie auf, stellte die alte Ordnung aus aufgereihten Wassergläsern wieder her
und begab mich nach oben. Der Wohnraum glühte fleischrot im Licht einer
untergehenden Frühsommersonne. Meine Hand strich sachte und sanft über das
neueste Exemplar des »Schwäbischen Bürgerblatts für Verstand, Herz und gute
Laune«. Ich lieà mich müde in meinen Lesesessel fallen und verlor mich in einer
düsteren wie diffusen Grübelei. Meine Gedanken standen im dichten Nebel wie
nackte Zwerge, denen es somit nicht einmal vergönnt war, ein öffentliches
Ãrgernis zu erregen.
»Hallo, mein Lieber!« Maritta war ins Zimmer getreten. »Warum sitzt
du im Dunkeln?«
»Ich denke nach.«
»Dazu brauchst du aber nicht Strom zu sparen«, sagte Maritta und
drehte die Stehleuchte an.
»Ich muà morgen weg«, erklärte ich.
»Ach was?«
»Nach Solnhofen. Ich möchte einen Artikel über das dortige Museum
schreiben. Wahrscheinlich wird es nötig sein, über Nacht zu bleiben.«
»Warum? Hat
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