Gewitter über Pluto: Roman
erklärte ihr, daà ich in die UniversumstraÃe müsse, es mir
wahrscheinlich aber schwerfiele, den richtigen Weg zu finden.
»Kann ich vielleicht auch noch mit einem Fick dienen?« fragte die
Frau ohne rote Haare.
Komisch, daà sie das fragte. Tatsächlich hatte ich Lust. Obgleich
sie bar ihrer Verkleidung alles andere als eine attraktive Person war. Doch ich
mag diesen etwas verlebten Typus. Frauen an Supermarktkassen, Frauen, die aus
Fabriken kommen, Laborantinnen, Grundschullehrerinnen. Mir gefällt dieses
Gebrochene, die Müdigkeit in der Stimme und der Bewegung. Der blasse Teint,
dieser ganz grundsätzliche Pigmentverlust. Wie ausgewaschen. Ich gestehe, meine
Frau ist ganz anders. Aber es ist ja auch nur so eine gewisse Lustâ¦
»Also gut«, sagte Yvonne, »ich fahre Sie.«
Wir gingen nach drauÃen. Das grelle Tageslicht fuhr mir in die
Augen, als sei ich mitten in einen physikalischen Versuch geraten. So ein
Urknallexperiment. Ich hielt mir eine Hand vors Gesicht und folgte Yvonne zu
einem kleinen Wagen. Wir stiegen ein. Sie fuhr mich die wenigen Gassen hinüber
in die UniversumstraÃe, wo dank der hohen Bäume das Licht in erträglich kleinen
Splittern herumflirrte.
»Hier ist es«, sagte ich.
Yvonne hielt vor dem Haus, in welchem die Pension Leda untergebracht
war.
»Wieviel?« fragte ich.
»Wieviel was?«
»Wenn Sie mit hochkommen.«
»Ist das dein Ernst?«
»Nicht duzen«, bat ich. »Das kann ich nicht ausstehen. Wir wollen ja
nicht etwa Freunde werden, oder?«
»Nein, sicher nicht«, sagte sie. Dann nannte sie einen Betrag, der
völlig in Ordnung ging. Offensichtlich wollte sie, nachdem sie mich bestohlen
hatte, nicht auch noch unverschämt sein.
Ich mache so etwas selten. Denn ich mag ja meine Frau. Aber mit
Mögen hat es eben nichts zu tun. Der Sex mit jemandem, den man nicht kennt, ist
anders. Es ist wie Urlaub in der Fremde. Im Gegensatz zu jenen nicht minder
schlechten Urlauben, die man in der nächsten Umgebung verbringt. Dennoch, es
ist ganz bezeichnend, daà die meisten Urlauber in der Ferne zu Exaltationen
neigen, zu übermäÃigem Konsum von was auch immer, zu Ausschweifungen, zu
sinnlosen und gefährlichen Dingen wie Kraterbesteigungen und Paragliding. Dicke,
unsportliche Menschen kommen plötzlich auf die Idee, sich in Taucheranzüge zu
zwängen und ein Meer zu erkunden, das ihnen völlig gleichgültig ist. Diese
ganzen Fische kann man sowieso in jedem gröÃeren Aquarium sehr viel besser
bestaunen. Aber in den Zoo geht man eben zu Hause. In der Fremde steigt man ins
Meer, wenn das Meer schon mal da ist. Und natürlich, weil das Meer ein biÃchen
gefährlich ist. Oder sogar sehr. Umgekehrt nützt man einen in der Heimat
verlebten Urlaub zu vernünftigen Dingen wie Fahrradfahren und Hobbygeologie.
Hier hat man es mit einer Landschaft zu tun, die man tatsächlich liebt. Aber
wie ich schon sagte, es geht nicht um Liebe. Der auÃereheliche Sex ist der
Versuch, über die geradezu waghalsige Annäherung an einen fremden Menschen die
eigene Fremdheit auszuleben. Wenn man das vernünftig angeht, sich an ein paar
Grundregeln hält, ist das eine gute Sache. Man darf nur nicht übertreiben. Man
kommt ja auch nicht auf die Idee, das gesamte Jahr über auf einer blöden Insel
zu hocken und Krabbensuppe zu schlürfen.
Ich übertreibe nie.
Yvonne war der pragmatische Typ. Sie fragte mich, was ich gerne
hätte. Sie fragte ohne Verachtung und ohne Leidenschaft. Und dann tat sie,
worum ich sie bat und wofür ich sie bezahlte. â Vielleicht ist das für mich das
eigentliche Abenteuer: diese Kälte. MüÃte ich mir eine Insel aussuchen, dann
Grönland.
Ich war übrigens erstaunt gewesen, daà mir Frau Leda keine
Schwierigkeiten bereitet hatte, als ich da mit einer Frau in die Pension
gekommen war. Ihr Blick war zwar ein strenger gewesen. Doch diese Strenge hätte
allem möglichen gelten können. Auch meiner etwas unordentlichen Frisur.
Jedenfalls hatte Frau Leda nichts gesagt, sondern stumm und düster den
Schlüssel ausgehändigt.
Nachdem Yvonne gegangen war, legte ich mich zwei Stunden
schlafen. Als ich erwachte, fühlte ich ein kleines Brett in meinem Kopf. Ein
Brett mit Nägeln von der Art, die immer rostig und immer schief
hineingeschlagen sind. Ich stand auf, schluckte ein Aspirin, zog mich an, nahm
den Archaeopteryx
Weitere Kostenlose Bücher