Gezähmt von sanfter Hand
Richard nahm die übereinander geschlagenen Beine auseinander und erhob sich von seinem Sessel. »Ich möchte Euch bitten, heute in einer Woche wieder hier vorbeizuschauen« – er lächelte den Mann an –, »dann werde ich Euch meine Entscheidung mitteilen.«
Der Anwalt reagierte mit einer höflichen Verbeugung. »Wie Ihr wünscht, Sir. Gemäß dem Testament wird der Nachlass bis zu diesem Zeitpunkt treuhänderisch verwaltet werden.«
Er sammelte rasch seine Unterlagen ein, dann verabschiedete er sich mit einem Händedruck von Richard und Jamie, der abermals völlig verblüfft war, und verließ schließlich mit einem höflichen Nicken in Richtung der anderen die Bibliothek.
Die Tür schloss sich hinter ihm; das Klicken des Schnappriegels hallte durch den riesigen Raum und die unnatürliche Stille. Geschlossen drehte sich die Familie zu Richard herum, und starrte ihn – sprachlos vor Überraschung – an.
Richard lächelte betont gelassen und unbekümmert. »Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet, ich glaube, ich werde mir jetzt ein bisschen die Beine vertreten.«
Damit schlenderte er gleichgültig zur Tür.
»Du brauchst dir gar nicht erst Hoffnungen zu machen.« Unverblümt schubste Catriona Jamie in einen Sessel und ließ sich dann auf das Sofa gegenüber fallen. »So, und jetzt konzentrier dich«, befahl sie ihm, »und erzähl mir alles, was du über Richard Cynster weißt.«
Jamie, noch immer wie benommen, zuckte die Achseln. »Er ist der Sohn von Dads erster Ehefrau – genauer gesagt, ihr Sohn und der des Mannes, den die englische Regierung seinerzeit hier heraufschickte. Er war Herzog – den vollen Titel habe ich allerdings vergessen, falls ich ihn überhaupt jemals gehört habe.« Er legte nachdenklich die Stirn in Falten. »An viel kann ich mich nicht mehr erinnern; das war alles noch vor meiner Geburt. Ich weiß nur das, was Dad ab und zu mal herausgerutscht war.«
Catriona konnte ihre Ungeduld nur mit Mühe in Schach halten. »Erzähl mir einfach alles, woran du dich noch erinnern kannst.« Sie musste unbedingt über den Feind Bescheid wissen. Als Jamie sie jedoch nur verständnislos ansah, stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Na schön, in Ordnung, dann werde ich dir Fragen stellen. Lebt er in London?«
»Ja. Er ist direkt von dort hergekommen. Das hat sein Kammerdiener gesagt.«
»Er hat einen Kammerdiener?«
»Ja – ein furchtbar steifer, förmlicher Kerl.«
»Was hat er für einen Ruf?« Catriona blinzelte. »Nein, lass nur, vergiss es«, sagte sie und murmelte dann unhörbar vor sich hin: »Darüber weiß ich mehr als du.« Über einen Mann mit Lippen wie kühler Marmor, starken Armen, die sie umfangen gehalten hatten, und einem Körper … sie blinzelte abermals. »Seine Familie – was weißt du über sie? Bekennen sie sich offen zu ihm?«
»Allem Anschein nach ja.« Jamie zuckte die Achseln. »Ich erinnere mich, wie Dad mal sagte, die Cynsters wären eine verdammt mächtige und einflussreiche Sippe – die meisten von ihnen haben was mit dem Militär zu tun, eine sehr alte Familie. Sie haben damals sieben ihrer Söhne nach Waterloo geschickt – ich weiß noch, dass Dad mal erzählte, die Londoner Gesellschaft hätte sie als unbesiegbar bezeichnet, weil alle sieben unversehrt zurückkehrten.«
Catriona räusperte sich. »Sind sie reich?«
»Ja, das würde ich schon sagen.«
»Prominente Mitglieder der Gesellschaft?«
»Ja – sie haben gute Beziehungen und all das. Es gibt da diese Gruppe …« Jamie brach unvermittelt ab und errötete.
Catriona kniff argwöhnisch die Augen zusammen. »Diese Gruppe?«
Jamie rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. »Es ist nichts, was …« Er verstummte.
»Was mich interessieren dürfte?« Catriona hielt seinen Blick unbarmherzig fest. »Das zu beurteilen kannst du getrost mir überlassen. Also, was ist nun mit dieser Gruppe?«
Sie wartete schweigend; schließlich kapitulierte Jamie. »Sie sind zu sechst – alles Cousins. Die Londoner Gesellschaft nennt sie die Cynster-Clique.«
»Und was macht diese Clique?«
Jamie wand sich unbehaglich. »Sie haben einen gewissen Ruf. Und Spitznamen. Zum Beispiel Devil und Demon und Lucifer.«
»Ich verstehe. Und unter welchem Spitznamen ist Richard Cynster bekannt?«
Jamie presste störrisch die Lippen zusammen; Catriona starrte ihn so lange durchbohrend an, bis er endlich nachgab.
»Scandal.«
Ihre Lippen wurden schmal. »Das hätte ich mir eigentlich auch denken können. Und,
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