Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
uns losbindet. Wir brauchen einen zweiten Rettungskorb und einen weiteren Ambulanzhubschrauber. Ben, wie weit hast du es noch?«
»Zehn Minuten.«
»Bodenpersonal in Bereitschaft. Werden Verletzten auf Lichtung losbinden.«
Niemand sah Sam an. Er saß mit grimmiger Miene stumm da, und in seinen Augen standen Schock und Entsetzen. Niemand sagte etwas, als sie darauf warteten, dass der verletzte Junge losgebunden wurde, damit sie zu ihrem abgestürzten Mannschaftskameraden zurückkehren konnten.
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3.
D as ist mein letzter Patient, Evelyn«, sagte Libby mit einem matten Lächeln zu der Krankenschwester. »Ich muss dringend nach Hause.«
»Haben Sie den Trubel in der Notaufnahme mitgekriegt, Frau Doktor?«, fragte Evelyn.
»Ich habe zwei Hubschrauber ankommen hören«, erwiderte Libby, »aber ich war zu beschäftigt, um nachzusehen, was dort vorgeht.« Gleich zwei Hubschrauber auf einmal, das war ungewöhnlich, und daher vermutete sie, dass es auf der Schnellstraße zu einem Unfall gekommen war.
»Ich habe nur hier und da ein Wort aufgeschnappt, aber es sieht so aus, als sei Drew Madison draußen auf den Klippen über der Seelöwenbucht herumgeklettert und runtergefallen. Sie haben den Rettungshubschrauber benachrichtigt und bei den Rettungsarbeiten ist etwas schief gegangen.«
Libby schnappte hörbar nach Luft. »Drew? Sind Sie ganz sicher? Was um Himmels willen hatte er bei diesem Wetter draußen zu suchen? Und noch dazu auf den Klippen? Er weiß doch, wie gefährlich sie sind.« Durch die ständige Erosion hatten sich breite Sprünge in den Klippen gebildet, und der Fels bröckelte ohne Vorwarnung ab. Selbst ohne die Warnschilder, die überall aufgestellt worden waren, wären die Einheimischen gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, in den heimtückischen und instabilen Felswänden herumzuklettern. »Wissen Sie, wie schlimm seine Verletzungen sind?«
»Der Orthopäde sieht ihn sich gerade an. Sie werden die Ärzte in der Notaufnahme schon selbst fragen müssen, Libby. Wir hatten heute hier in der Chirurgie so viel zu tun, dass ich noch gar keine Gelegenheit hatte, mich genauer zu erkundigen. «
»Danke, Evelyn. Ich werde auf dem Weg noch kurz bei ihm hereinschauen.«
Libby warf ihre Handschuhe in einen Abfalleimer und hob eine Hand, als sie durch den Korridor zur Notaufnahme eilte. Sie kannte Drew schon seit seiner Geburt. Er war kein Junge, der Dummheiten anstellte. Er war in dem kleinen Städtchen Sea Haven aufgewachsen, und die Gefahren der Klippen waren ihm durchaus bewusst. Ihr leuchtete überhaupt nicht ein, warum Drew bei Regen auf einer gefährlichen Klippe herumgeklettert sein sollte, wo er doch sein Leben lang so hart daran gearbeitet hatte, seine Leukämie in Schach zu halten.
In der Notaufnahme herrschte mehr Trubel als sonst. Sowie sie die Station betrat, spürte sie, dass ihre Heilkräfte vonnöten waren. Ihr Magen schlingerte, und ihre Schläfen begannen zu pochen. Jemand war in einem sehr, sehr schlechten Zustand. Normalerweise nahm sie den Ruf nach Heilung nicht so intensiv wahr, doch diesmal begannen die Energien in jeder Zelle ihres Körpers zu knistern. Ihre Handflächen wurden warm.
Eine der Krankenschwestern in der Notaufnahme war Linda Bowers, eine Freundin aus ihrer gemeinsamen Zeit in der Highschool. »Was ist hier los?«, erkundigte sich Libby schroff.
»Ein Hubschrauberrettungseinsatz«, antwortete Linda. »Vor den Klippen der Seelöwenbucht.«
»Das Wetter ist grässlich. Dieser Wind und dieser Regen. Ich habe gehört, es war Drew Madison. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er auf den Gedanken gekommen ist, sich dort draußen herumzutreiben. Wo doch jeder weiß, wie gefährlich das ist.«
»Jonas und Jackson waren schon bei Drew, und nach den
wenigen Gesprächsfetzen zu urteilen, die ich aufgeschnappt habe, sind sie keineswegs sicher, dass es ein Unfall war. Pete Granger hat Drew entdeckt, nachdem er anscheinend von der Klippe gefallen oder ausgerutscht ist, oder vielleicht ist er sogar ein Stück weit hinuntergeklettert. Dann ist er den Rest des Weges auf die Felsen gestürzt.«
»Wie schlimm sind seine Verletzungen?«
»Sein Gehirn ist unversehrt, aber seine Beine müssen mit Sicherheit operiert werden. Der Orthopäde sieht ihn sich gerade an. Der Junge weigert sich, mit seiner Mutter zu reden. Er will sie nicht sehen, und sie ist restlos hysterisch. Wir haben ihr sogar schon angeboten, ihr ein Beruhigungsmittel zu geben.« Linda blickte finster. »Ich finde, du
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