Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
runzelte die Stirn. »Jonas? Wer war der Mann, der gerade behandelt wurde, bevor Irene ausgerastet ist? Weißt du, wie schwer seine Verletzungen waren?«
»Tyson Derrick. Er hat Drew von den Felsen gerettet. Sie wurden gerade auf die Klippen hochgezogen, als mit seinem Rettungsgurt etwas schief gegangen ist, und er ist etwa neun Meter tief auf die Felsen gestürzt. Dr. Shayner sagt, dass er in einer sehr schlechten Verfassung ist, Schädelhirntrauma und innere Verletzungen.« Er unterbrach sich und sah sie im Rückspiegel
an. »Wenn es wirklich so schlimm um ihn steht, wie zum Teufel kommt es dann, dass er durch die Glasscheibe alles beobachtet hat? Verdammt noch mal, sie hat ihn geheilt, stimmt’s? Manchmal könnt ihr Mädchen mich zur Raserei bringen.«
»Weshalb sollte Libby ein solches Risiko eingehen? Normalerweise ist sie sehr vorsichtig. Ich meine, sie könnte ja versucht haben, ihm den schlimmsten Schmerz zu nehmen, aber all seine Verletzungen auf sich zu nehmen, ist viel zu riskant, nicht nur für sie, sondern für uns alle, und das weiß sie ganz genau.«
»Ich verstehe keine Einzige von euch, also frag mich besser gar nicht erst.«
»Du liebst uns«, sagte Elle mit grenzenloser Zuversicht.
Er ging nicht darauf ein. Es mochte zwar wahr sein, aber er dachte im Traum nicht daran, es offen zuzugeben. »Woher hast du gewusst, dass Irene Libby angreifen würde?« Bevor Elle ihm antworten konnte, hob er eine Hand. »Vergiss, dass ich gefragt habe. Ich will es gar nicht wissen.« Er parkte seinen Wagen so dicht wie möglich am Haus der Drakes.
Das Haus der Drakes stand auf der Spitze der Klippen, und der hohe Turm und die Aussichtsplattform boten atemberaubende Ausblicke auf das Meer, das tief unten lag. Jonas trug Libby die Stufen hinauf und über die überdachte Veranda ins Wohnzimmer, wo sie die anderen Schwestern bereits erwarteten.
»Bring sie in ihr Zimmer, Jonas«, wies ihn Sarah, die Älteste, an. »Dort können wir es ihr bequemer machen. Hannah sagt, es könnte einige Zeit in Anspruch nehmen.«
Jonas beobachtete, wie sich Libbys Schwestern um das Bett herum aufstellten. Er konnte das Aufwogen der Kraft spüren, als sie einander an den Händen fassten. Er kannte sie von klein auf, und dennoch verblüffte es ihn immer wieder, wenn sie ihre Kräfte miteinander vereinten. Libby war die Heilerin, die mitfühlende Drake. Eine Welt ohne Libby konnte er sich nicht
vorstellen, doch im Augenblick konnte er ihren Atem kaum wahrnehmen. Er unterdrückte den Drang, ihren Puls zu fühlen, und machte ihnen den Weg frei.
So weit er zurückdenken konnte, hatte er über die Drake-Schwestern gewacht. Das war nicht immer einfach gewesen und in der Mehrzahl der Fälle nahmen sie es ihm übel und warfen ihm vor, er würde sie schikanieren. Aber in gefährlichen Situationen gingen sie immer Risiken ein. Er sah finster auf Libby hinunter. Wie jetzt zum Beispiel. Er verspürte den Drang, sie zu schütteln, sie alle zu schütteln, weil sie sich ständig Schwierigkeiten einhandelten.
Sarah seufzte. »Jonas. Geh nach unten und koch Tee für uns.«
»Warum denn? Wenn ihr Tee wollt, braucht Hannah doch bloß mit den Armen zu wedeln und eine Tasse kommt hereingeschwebt. « Seine Worte klangen sarkastischer, als er es beabsichtigt hatte, doch die Frauenpower in diesem Haus warf ihn immer wieder aus der Bahn.
»Wir versuchen hier zu arbeiten«, sagte Sarah, »und du posaunst laut und deutlich deine Missbilligung heraus.«
»Ich sage doch überhaupt nichts«, leugnete er. »Schließlich bin ich hier der einzig Normale. Wird sie wieder gesund werden? «
Sechs Augenpaare gruben sich in ihn. Er hob die Hände, um seine Kapitulation anzuzeigen. »Schon gut, ich gehe ja schon Tee kochen. Welche Sorte? Ihr habt dort unten ein komplettes Teesortiment. Den mit der zerstoßenen Eidechsenzunge würde ich ungern zubereiten.«
»Der Behälter steht schon auf dem Abtropfbrett neben der Spüle für dich bereit«, sagte Sarah. »Und Libby wird selbstverständlich wieder gesund werden. Etwas anderes ließen wir überhaupt nicht zu.«
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4.
L ibby ließ ihren Kopf an die Rückenlehne des Stuhls sinken und sah starr auf das schimmernde Blau des Meeres hinaus. Von dem sanften Auf und Ab der Wellen und den weißen Schaumkronen auf den hohen Wellenkämmen weit draußen ging etwas unglaublich Beruhigendes aus. Das unablässige Geschrei der Möwen und die frische Meeresluft sorgten immer dafür, dass ihr etwas leichter ums Herz wurde, obwohl
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