Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
auf.
»Eine Möwe könnte uns im Sturzflug angreifen«, witzelte er.
Sie warf ihm einen Blick zu, der ihn zum Schweigen bringen sollte.
Er wollte sie gerade angrinsen, weil ihre Selbstsicherheit ihn belustigte, doch in dem Moment reagierten seine Eingeweide und ein Instinkt sagte ihm, dass Eile geboten war. Ty stand abrupt auf, umfasste ihre Taille und zerrte sie von den Stühlen fort und zu den Stufen. Obwohl sie klein und schmächtig war, protestierten seine Rippen und sein zerschmettertes Brustbein, und es kam ihm vor, als würde seine Brust entzweigerissen. Er blieb trotzdem in Bewegung. Er glaubte nicht an Magie, aber er vertraute auf Instinkte und seine eigenen Alarmglocken hatten zu schrillen begonnen. Ein guter Wissenschaftler brauchte Intuition, und Tys Instinkte waren durch die Ausbildung zum Feuerwehrmann geschärft worden.
Sie hatten etliche Laufschritte zu dem Pfad zurückgelegt, der an der Klippe hinaufführte, als er ein Geräusch hörte, das von oben kam. Es war ein Geräusch, das er als Steilwandkletterer schon öfter gehört hatte. Er bedeckte Libbys Kopf mit beiden Armen und rannte die letzten Schritte, um sie dann gegen die Felswand zu stoßen und seinen Körper schützend über sie zu beugen, als Steine, Erde und Schlamm auf sie herniederhagelten. Er machte sich so klein wie möglich und zuckte zusammen, als Geröll auf seine Schultern und Arme traf. Erde strömte auf sie hinab, und Libby hustete.
Er brachte seinen Mund dicht an ihr Ohr. »Versuche, nicht zu atmen.«
Sie erwiderte nichts darauf, doch ihre Hand schlich sich in seine. Er presste ihren Kopf an seine Brust. Sie fühlte sich klein und zerbrechlich an in seinen Armen, ganz im Gegensatz zu
der Libby, die ihm so selbstsicher vorkam. Seine Arme spannten sich enger um sie, und er zwängte ihren Kopf unter sein Kinn. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bevor der Felsrutsch aufhörte.
Er hielt sie weiterhin fest an sich gepresst. »Glaubst du, wir können uns jetzt gefahrlos von der Stelle rühren?«
»Danke.« Sie richtete sich auf, zog ihre Hand aus seiner und rückte etwas von ihm ab.
Er konnte ihren Körper immer noch an sich geschmiegt fühlen. Auch wenn es eine Illusion war, kam es ihm dennoch so vor, als gehörte sie dorthin. »Wofür?«
Libby stieg vorsichtig über das Geröll und deutete auf die Stelle, wo sie noch vor wenigen Minuten auf den Stühlen gesessen hatten. Die Holzstühle waren von mehreren großen Felsbrocken in Splitter zerhackt worden. »Du musstest unbedingt die Erosion erwähnen, stimmt’s?«
Der Spott in ihrer Stimme verschlug ihm den Atem. Sie machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment laut loslachen. Das genügte, um sein Herz stillstehen zu lassen. Er legte eine Hand auf seine schmerzende Brust. »Ich hatte keine Ahnung, dass meine Suggestivkraft so ausgeprägt ist. Nächstes Mal werde ich mich vorsehen.«
»Jonas hat erwähnt, dass es nach den letzten kräftigen Regenfällen, die wir hier hatten, zu etlichen Erdrutschen gekommen ist. Die Seelöwenbucht hat es schwer getroffen. Die Klippe ist wirklich sehr instabil, aber ich vermute, wir waren nicht aufmerksam genug.«
Ty musterte die Felswand, die über ihnen aufragte. »Sie hat gar nicht so instabil gewirkt. Es hat nicht einmal ein Erdbeben gegeben. Ist dir aufgefallen, dass die Felsen den Eindruck gemacht haben, sie könnten runterfallen, als du zum Strand hinabgestiegen bist?«
»Ich habe nicht darauf geachtet, Ty«, gab Libby zu. »Ich kann mich nicht erinnern, wann das letzte Mal eine von uns
nachgesehen hat. Jonas wird uns eine seiner zahlreichen Strafpredigten halten.«
»In welcher Form gehört Jonas eigentlich zu deiner Familie? «, fragte Ty. »Ich kann mich noch erinnern, dass er ständig mit euch allen zusammen war, aber er ist nicht mit euch verwandt, oder?« Er streckte seine Hand aus, um ihr ein paar Bröckchen Erde aus dem Haar zu streichen.
Libby hob ihre Hand und wollte versuchen, die blauschwarze seidige Mähne zu glätten, die ihr ums Gesicht fiel. Ty umfasste ihr Handgelenk und hinderte sie daran. »Du siehst selbst so zerzaust noch wunderschön aus.«
Libby holte Atem. Vor zehn Minuten hätte sie den Mann am liebsten ins Meer gestoßen und jetzt konnte sie an nichts anderes mehr denken als daran, ihn zu küssen. »Das ist nett von dir, Ty. Ich fühle mich nicht besonders schön, und daher bedeutet es mir viel, dass du das sagst.«
Er zuckte die Achseln. »Ich habe nur eine Feststellung geäußert, die ohnehin auf
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