Gezeiten des Krieges
Braun. Sein dünner Bart war gestutzt, das graue Haar lag offen auf den Schultern.
»Wir verabschieden uns von diesen tapferen Söhnen und Töchtern Liaos im Licht eines neuen Morgens, den sie geholfen haben, mit ihrem Leben für uns zu erkaufen. Wir tun dies in dem Wissen, dass sie sich nicht vergeblich geopfert haben. Das Konservatorium steht noch. Chang-an und Gouverneurin Lu Pohl sind auf unserer Seite. Wir haben so vieles von dem erhalten, worum es uns ging. Und doch bleibt noch so vieles unerreicht.«
Jenna lehnte sich an Evan, der ihr den Arm um die Schulter legte. Zur Hölle mit dem militärischen Protokoll. Sie war eine Freundin. Freunde gaben einander Halt.
»Trotz dieses hohen Preises genießt Liao noch immer nicht die Freiheit, die Gan Singh endlich genießt. Und Styk. Noch immer sind wir im Griff der Republik und es scheint, dass sie uns eher erdrosseln wird, als uns einen Hauch wahrer capellanischer Freiheit zu gönnen. Aber wir werden nicht aufgeben. Wir werden uns gegen die erdrückende Umarmung von Exarch Redburn und seiner sterbenden Republik auflehnen. Wir werden nicht abziehen, bis Liao endlich wieder die Freiheit feiert, sein Schicksal selbst zu wählen.«
Während Mai Wa die Vorzüge eines freien Liaos weiter lobte, drückte Evan Jenna an sich. Er konnte nicht anders, als an den Blutpreis in all diesen Jahren zu denken.
Das erinnerte ihn wieder an den Verräter, Daniel Peterson. Evans Griff verkrampfte sich, als er daran dachte, dass dieser Kerl es gewagt hatte, ihm Vorhaltungen zu machen. Was wusste Peterson schon von Verlusten? Welches Spiel hatte er wirklich gespielt?
Mai Wa kam zum Ende seiner Grabrede und seine Worte holten Evan zurück aus seinen Gedanken. »Das höchste und wichtigste Ideal im Leben eines MechKriegers«, erklärte der Haus-Meister, und sein Blick suchte und fand Evan in der Menge, »ist Loyalität: den Bürgern gegenüber, die er beschützt, dem Staat gegenüber, der ihn unterstützt, und dem Oberhaupt des Staates gegenüber, das den Oberkommandierenden des MechKriegers darstellt.« Der sechste Grundsatz des Lorix-Ordens. Eine der Gründungsphilosophien der Kriegerhäuser. »Daraus folgt ein weiterer Auftrag: Loyalität denen gegenüber, an deren Seite er kämpft. Ich kann nichts Ehrenvolleres über diese Soldaten, diese Krieger sagen als dies: dass sie sich als die loyalsten unter uns allen erwiesen haben. Wir salutieren vor ihnen.«
Colonel Feldspar ließ die Versammlung Haltung annehmen. Evan spürte, wie sich Jenna versteifte, aber er ließ sie nicht los. Sieben Infanteristen, unter ihnen Mark Lo und David Parks, traten vor die Versammlung. Sie hielten ihre Gewehre vor der Brust. Jenna drehte das Gesicht in Evans Schulter. Die Gewehre kamen hoch und feuerten, feuerten, feuerten. Drei Salven, die verloren über das stille Gelände hallten. Der Geruch von Kordit lag in der Luft und ließ Evan schlucken.
Auf ein Nicken von Mai Uhn Wa entließ Colonel Feldspar die Kadetten.
Evan ging mit Jenna hinüber und betrachtete den kleinen Sockel, der für einige Zeit der einzige Grabstein bleiben würde. An der Oberkante prangte das planetare Wappen Liaos, gefolgt von der Inschrift Yu Xian Gud Guan. Und: Sie gingen uns voran.
Hahn Soom Guis Name stand auf der Liste an erster Stelle. Dafür hatte Evan gesorgt.
»Lebwohl, Hahn«, flüsterte Jen Lynn Tang, als David und Mark zu ihnen traten. Falls Mark Lo Anstoß daran nahm, dass Evan den Arm um Jennas Schulter gelegt hatte, ließ es sich der Infanterist nicht anmerken.
David hingegen war erschüttert. Er hatte dunkle Augenringe und seine Haut wirkte fahl. »Es tut mir Leid«, sagte er zu Evan und nahm kurz Haltung an, als würde er sich bei einem Vorgesetzten melden.
Jenna verstand ihn falsch. »Es gab nichts, was du hättest tun können, David.«
»Es ist in Ordnung«, sagte Evan. Er hatte das Lebwohl herausgehört. Er verließ Jennas Seite für einen Augenblick und nahm den Freund in die Arme. »Du hast getan, was du konntest. Und es wird hier bei uns immer einen Platz für dich geben.«
David nickte. Er gab Jenna einen Kuss auf die Wange und schüttelte Mark Lo die Hand. Jennas Blick folgte ihm verwirrt. »Hat er ...«
»Er ist durch«, erklärte Evan. »Hahns Tod war zu viel für David. Er wird nie wieder einen Fuß auf ein Schlachtfeld setzen.« Hatte es schon immer eine tief liegende Schwachstelle bei ihm gegeben? Oder hätte er sich im Dienst auszeichnen können, bevor ihn die zusätzliche Belastung der
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