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Gezinkt

Gezinkt

Titel: Gezinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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wollte?«
    »Wenn sie kurz vor der Scheidung stand, warum sollte sie mir ihre Ringe nicht geben?«
    Phelan meinte das rein rhetorisch. Um auf den Fehler in Boyles Logik hinzuweisen.
    Die Ermittler hatten Raub als Tatmotiv sofort ausgeschlossen. Anna Devereaux’ Geldbörse, die zwei Meter von ihrer Leiche entfernt lag, hatte elf Kreditkarten und hundertachtzig Dollar Bargeld enthalten.
    Boyle nahm den Ordner zur Hand, las noch ein wenig darin und warf ihn auf den Tisch.
    Warum? ...
    Es schien angemessen, dass das maßgebliche Wort, wenn es um James Kit Phelans Leben ging, eine Frage war. Warum hatte er Anna Devereaux getötet? Warum hatte er die anderen Verbrechen begangen, für die er verhaftet worden war? Viele von ihnen grundlos. Niemals Mord, aber Dutzende von Körperverletzungen. Trunkenheit und Störung der öffentlichen Ordnung. Eine Entführung, die zu schwerer Körperverletzung abgeschwächt wurde. Und wer genau war James Kit Phelan eigentlich? Er hatte nie viel über seine Vergangenheit gesprochen. Selbst der Beitrag in Current Affair hatte lediglich zwei frühere Zellengenossen von Phelan für ein Interview vor der Kamera ausfindig machen können. Keine Verwandten, keine Freunde, keine Ex-Frauen, keine Lehrer oder Chefs.
    »Was ich Sie sagen höre, James«, konstatierte Boyle, »ist, dass Sie selbst nicht die leiseste Ahnung haben, warum Sie die Frau getötet haben.«
    Phelan presste die Handgelenke zusammen und schwang die Kette so, dass sie wieder gegen den Tisch klirrte. »Vielleicht ist es irgendwas in meinem Kopf«, sagte er nach einigem Nachdenken.
    Sie hatten die üblichen Tests mit ihm durchgeführt und nichts sonderlich Erhellendes gefunden. Die Polizeipsychologen schlossen, dass »der Gefangene eine ziemlich starke Tendenz dazu zeigt, klassische asoziale Neigungen auszuleben« – eine Diagnose, auf die Boyle mit der Bemerkung reagiert hatte: »Danke, Doc, sein Strafregister sagt dasselbe. Nur nicht auf Fachchinesisch.«
    »Wissen Sie«, fuhr Phelan langsam fort, »manchmal habe ich das Gefühl, irgendetwas in mir gerät außer Kontrolle.« Seine blassen Lider schlossen sich über den blauen Augen, und Boyle stellte sich einen Moment lang vor, der Halbmond aus Haut sei durchsichtig und die Augen würden weiter in den kleinen Raum spähen.
    »Wie meinen Sie das, James?« Der Captain fühlte, wie sein Puls sich beschleunigte. Und fragte sich: Sind wir tatsächlich dabei, dem Verbrechen des Jahrzehnts im County auf den Grund zu kommen?
    »Zum Teil könnte es mit meiner Familie zu tun haben. In meiner Kindheit ist ein Haufen Scheiße passiert.«
    »Wie schlimm war es?«
    »Sehr schlimm. Mein Vater war im Knast. Diebstahl, häusliche Gewalt, Trunkenheit und Ruhestörung. Solche Dinge. Er hat mich viel geschlagen. Er und meine Mutter waren zunächst angeblich ein ganz tolles Paar. Sehr verliebt. So hab ich es gehört, aber so sah es für mich nicht aus. Sind Sie verheiratet, Captain?« Phelan blickte auf seine linke Hand. Dort war kein Ring. Boyle trug nie einen; er hatte es sich zur Regel gemacht, sein Privatleben von der Arbeit zu trennen. »Ja.«
    »Seit wann?«
    »Zwanzig Jahre.«
    »Mann.« Phelan lachte. »’ne lange Zeit.«
    »Ich habe Judith kennen gelernt, als ich auf der Polizeiakademie war.«
    »Sie waren Ihr ganzes Leben lang Polizist. Ich habe dieses Porträt von Ihnen gelesen.« Er lachte. »In dieser Zeitungsausgabe mit der Schlagzeile, nachdem Sie mich erwischt hatten. ›Schachmatt‹. Das war lustig.« Dann verblasste sein Lächeln. »Wissen Sie, nachdem meine Mutter nicht mehr war, gab es über ein Jahr lang niemanden im Leben meines Vaters. Zum Teil lag es daran, dass er keinen Job lange behielt. Wir sind ständig umgezogen. Wir wohnten in mindestens zwanzig Staaten, locker. In dem Artikel stand, dass Sie den größten Teil Ihres Lebens hier in der Gegend verbracht haben.«
    Er öffnet sich, dachte Boyle aufgeregt. Halt ihn bei Laune.
    »Ich wohne drei Meilen von hier, in Marymount, seit einundzwanzig Jahren.«
    »Da bin ich durchgekommen. Hübscher Ort. Ich habe in vielen Kleinstädten gewohnt. Es war hart. Am schlimmsten war die Schule. Der Neue in der Klasse. Ich wurde immer nach Strich und Faden verprügelt. Hey, das wäre ein Vorteil, wenn man einen Cop als Vater hat. Keiner legt sich mit dir an.«
    »Mag sein, aber dafür gibt es ein anderes Problem«, sagte Boyle. »Ich habe den einen oder anderen Feind, wie Sie sich vorstellen können. Deshalb schicken wir die Kinder von

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