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Gezinkt

Gezinkt

Titel: Gezinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Vergangenheit ist langweilig. Punkt. Haben Sie mal auf jemanden geschossen?«
    Boyle hatte. Zweimal. Und beide Male tödlich. »Wir sind hier, um über Sie zu reden.«
    »Ich bin hier, weil ich erwischt wurde. Sie sind hier, um über mich zu reden.«
    Phelan lümmelte sich in seinen Sessel. Die Ketten klirrten leise. Es erinnerte Boyle an die Glocke, die er im Korridor gehört hatte.
    Er sah auf den Ordner hinab.
    »Also, was wollen Sie wissen?«, fragte Phelan.
    »Nur eins«, antwortete Boyle und öffnete die abgegriffene Akte. »Warum haben Sie die Frau getötet?«
    »Warum?«, wiederholte Phelan langsam. »Tja, alle fragen mich nach dem Motiv. Also ›Motiv‹... das ist ein großes Wort. Ein Zehn-Dollar-Wort würde mein Vater sagen. Aber ›warum?‹, das trifft die Sache schon eher.«
    »Und die Antwort lautet?«
    »Warum ist das so wichtig?«
    Das war es nicht. Juristisch gesehen. Man muss nur dann ein Motiv feststellen, wenn der Fall vor Gericht geht, oder wenn das Geständnis durch die Beweislage nicht erhärtet oder gestützt wird. Aber man hatte Phelans Fingerabdrücke am Tatort gefunden, und der DNA-Test bestätigte, dass es Phelans Hautpartikel waren, die man unter Anna Devereaux’ perfekt rosa lackierten Fingernägeln hervorgekratzt hatte. Der Richter akzeptierte das Geständnis, ohne dass ein Motiv präsentiert wurde, wenngleich selbst er dem Gefangenen nahelegte, er möge freundlicherweise erklären, weshalb er dieses schreckliche Verbrechen begangen habe. Phelan hatte weiter geschwiegen und sich vom Richter den Schuldspruch vorlesen lassen.
    »Wir wollen einfach den Bericht abschließen.«
    »›Den Bericht abschließen‹. Na, wenn das kein bürokratischer Scheißdreck ist, dann weiß ich auch nicht.«
    Tatsächlich wollte Boyle die Antwort aus einem persönlichen Grund wissen, nicht aus einem beruflichen. Damit er nämlich endlich wieder schlafen konnte. Das Rätsel, warum dieser Herumtreiber und Kleinganove die sechsunddreißigjährige Ehefrau und Mutter getötet hatte, war in seinem Kopf wie ein Tumor gewachsen. Er wachte manchmal auf, weil er daran dachte. Allein in der vergangenen Woche, als es so aussah, als würde Boyle ins Hochsicherheitsgefängnis von Katonah gehen, ohne je einem Treffen mit Boyle zugestimmt zu haben, wachte er mehrmals schweißgebadet aus Albträumen über Phelan auf. Die Träume hatten nichts mit dem Mord an Anna Devereaux zu tun; es handelte sich um eine Folge von quälenden Szenen, in denen der Gefangene Boyle etwas zuflüsterte, Worte, die der Detective unbedingt verstehen wollte, was ihm aber nicht gelang.
    »Es macht an diesem Punkt weder für Sie noch für uns irgendeinen Unterschied«, sagte Boyle ruhig. »Aber wir wollen es einfach wissen.«
    »›Wir‹?«, fragte der Gefangene geziert, und Boyle kam sich vor, als wäre er bei irgendetwas ertappt worden. »Ich nehme an, ihr habt ein paar Theorien.«
    »Eigentlich nicht.«
    »Nein?«
    Phelan schwang die Kette gegen den Tisch und musterte den Captain weiter mit diesem seltsamen Blick. Boyle war nicht wohl in seiner Haut. Gefangene beschimpften ihn ständig. Gelegentlich spuckten sie ihn an, und manche hatten ihn sogar angegriffen. Aber Phelan setzte nur diese merkwürdige Miene auf – was zum Teufel war es? – und erneuerte sein Lächeln. Er fuhr fort, Boyle zu studieren.
    »Das ist ein irres Geräusch, oder, Captain? Die Kette. Hey, mögen Sie Horrorfilme?«
    »Manche. Nicht die bluttriefenden.«
    Drei klirrende Schläge. Phelan lachte. »Wäre ein guter Soundeffekt für einen Stephen-King-Film, finden Sie nicht? Oder Clive Barker. Ketten in der Nacht.«
    »Was halten Sie davon, wenn wir die Fakten noch einmal durchgehen? Was passiert ist. Vielleicht hilft es, Ihr Gedächtnis aufzufrischen.«
    »Sie meinen, mein Geständnis? Warum nicht? Ich habe es seit der Anhörung noch nicht gesehen.«
    »Ich habe das Video nicht dabei. Wie wär’s, wenn ich einfach die Abschrift vorlese?«
    »Ich bin ganz Ohr.«
    »Am 13. September waren Sie in der Stadt Granville. Sie fuhren ein gestohlenes Motorrad vom Typ Honda Nighthawk.«
    »Das ist richtig.«
    Boyle senkte den Kopf und las in seinem schönsten Gerichtsbariton aus der Abschrift vor. »›Ich fuhr einfach so herum und schaute, was es alles gab. Ich hörte, dass da so ein Jahrmarkt oder ein Volksfest oder was stattfand, und ich habe immer die Musik gehört, wenn ich vom Gas ging. Und der bin ich dann zu diesem Park in der Stadtmitte gefolgt.
    Es gab Ponyreiten und alle

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