Ghost Street
klar, welcher Name ihr die ganze Zeit durch den Kopf schwirrte. Lydia! Selbst wenn sie sich das geheimnisvolle Wesen vor dem Fenster nur eingebildet hatte, den Namen der misshandelten Frau hatte sie gehört. Und das war bestimmt kein Zufall. Hatte ihr Unterbewusstsein sie gewarnt? War Lydia Murrell in Gefahr?
Sie lief zum Aufzug und fuhr nach oben. Im zweiten Stock stieg sie aus und eilte an der Schwesternstation vorbei zu Lydia Murrells Zimmer. Durch die schmale Glasscheibe neben der Tür sah sie Owen Murrell mit den Rosen neben dem Bett seiner Frau stehen und eindringlich auf sie einreden.
Die Tür war fast schalldicht und Alessa verstand kein Wort. Sie bemerkte lediglich seine wütende Miene und seine heftigen Gesten. Seine Frau lag wie ein Häufchen Elend im Bett und weinte. Nicht gerade ein Zeichen dafür, dass sich die beiden versöhnten.
Hinter Alessa gingen zwei Schwestern vorbei. Sie unterhielten sich über einen »süßen Arzt« und beachteten sie nicht. Sie blickten sie nicht einmal an.
Im Krankenzimmer schlug Owen Murrell so heftig mit dem Rosenstrauß auf Lydias Bettdecke, dass die Blütenblätter nach allen Seiten flogen. Er schimpfte so laut, dass seine Worte bis auf den Flur zu hören waren, und warf die Blumen gegen die Wand. »… ist es genug …«, verstand Alessa.
Im nächsten Augenblick hatte er seine Frau am linken Arm gepackt und zog sie wütend aus dem Bett. Der Infusionsschlauch und die EKG-Verbindungen lösten sich und Lydia Murrell fiel ungeschützt auf den harten PVC-Boden.
Alessa öffnete die Tür und stürmte in den Raum. »Ichhabe gesagt, ich nehme dich mit nach Hause!«, tobte er. Er hatte wieder einmal die Kontrolle über sich verloren. »Zu Hause kannst du genauso gut auf der faulen Haut liegen. Die wollen doch nur Geld mit dir verdienen. Heul nicht, verdammt!«
»Schwester! Schwester!«, rief Alessa in panischer Angst, als sie sich auf den Mann stürzte und ihn mit beiden Händen auf einen Stuhl stieß. Er war viel zu überrascht, um sich zu wehren, prallte unsanft gegen die Lehne und blickte Alessa erstaunt an. »Sind Sie verrückt? Was soll das, Miss? Was mischen Sie sich ein?« Er setzte sich gerade hin. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Staatsanwältin Alessa Fontana«, antwortete sie, »die Frau, die Sie ins Gefängnis bringen wird!«
Owen Murrell kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern. Noch bevor er den Mund öffnete, erschienen zwei Krankenschwestern mit einem Mann vom Sicherheitsdienst im Zimmer. »Schon gut, Leute. Es ist ja nichts passiert. Meine Frau wollte aufstehen und ist ausgerutscht. Ich hab versucht, ihr zu helfen, aber bevor ich was tun konnte, lag sie schon auf dem Boden. Wenn diese Irre nicht hereingestürmt wäre, hätte ich Sie noch eher gerufen. Ist … ist sie okay?«
Die Schwestern halfen Lydia ins Bett, schlossen sie wieder an den Tropf und das EKG an und legten ihr eine Schmerztablette neben das Wasserglas auf dem Nachttisch. Alessa zeigte dem Security-Mitarbeiter ihren Ausweis und redete beruhigend auf die Patientin ein. Owen Murrell warf sie einen verächtlichen Blick zu. »Das kommt Sie teuer zu stehen, Mister!«
»Und weswegen, wenn ich fragen darf ?« Owen Murrell hatte sich wieder beruhigt und saß wie ein Unschuldslamm auf seinem Stuhl. Der Mann von der Security hielt ihn amrechten Arm fest. »Ich hab nichts getan. Im Gegenteil, ich hab meiner Frau einen Rosenstrauß mitgebracht. Wir haben nämlich heute Hochzeitstag. Und sie wollte gleich mit mir nach Hause kommen und ist leider ausgerutscht, als sie aufstehen wollte.« Er lächelte seine Frau an. »So war es doch, mein Schatz?«
Alessa glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Wie konnte ein Mann so unverschämt und dreist sein? Sie blickte Lydia an. »Diesmal werden Sie doch hoffentlich vor Gericht aussagen, Lydia. Ich habe selbst gesehen, dass Ihr Mann Sie mit den Blumen geschlagen und Sie gewaltsam vom Bett gezogen hat. Sie werden die Wahrheit sagen, nicht wahr? Diesmal fallen Sie nicht mehr auf ihn rein. Sagen Sie die Wahrheit!«
Lydia Murrell hob schluchzend den Blick, und Alessa ahnte bereits, was kommen würde. »Aber … er hat recht«, brachte die Frau mühsam hervor. »Ich … ich bin gestürzt, als ich aufstehen wollte. Owen … mein Mann kann nichts dafür. Er ist … er ist unschuldig, Ma’am.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Lydia!« Alessa war entsetzt. »Reicht es denn nicht, dass er Ihnen die Nase und den Arm gebrochen hat? Sagen Sie aus!«
»Es war ein Unfall, und es
Weitere Kostenlose Bücher