Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
sagte Rycart.
    Frank trat so scharf aufs Gas, dass die Tür von selbst zuschlug und ich in den Sitz gepresst wurde.
    »Ich habe gerade Emmett gesehen«, sagte ich.
    Rycart und Frank wechselten im Rückspiegel einen kurzen Blick.
    »Sicher?«
    »Nein.«
    »Hat er Sie gesehen?«
    »Nein.«
    »Sicher?«
    »Ja.«
    Ich klammerte mich an meinen Koffer wie an einen Rettungsring. Wir rasten die Auffahrt hinunter und fädelten uns in den dichten Verkehr nach Manhattan ein.
    »Möglich, dass sie uns von La Guardia gefolgt sind«, sagte Frank.
    »Warum haben sie nicht gleich eingegriffen?«, fragte Rycart.
    »Vielleicht haben sie erst Emmetts Ankunft aus Boston abgewartet, um eine sichere Personenbeschreibung zu bekommen.«
    Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich Rycarts amateurhafte 007-Mätzchen nicht allzu ernst genommen, jetzt allerdings geriet ich langsam in Panik.
    »Hören Sie«, sagte ich. »Ich glaube, das ist keine gute Idee, wenn ich jetzt zu Lang fahre. Wenn das im Hotel wirklich Emmett war, dann ist Lang bestimmt schon informiert worden. Dann weiß er, dass ich nach Boston gefahren bin und Emmett die Fotos gezeigt habe.«
    »Und? Was will er schon machen?«, sagte Rycart. »Sie im Waldorf-Astoria in seiner Badewanne ersäufen?«
    »Genau«, sagte Frank kichernd. Seine Schultern bebten  vor Erheiterung. »So blöd wird er sein.«
    Mir war schlecht, und ich ließ trotz der eisigen Kälte das Fenster ein Stück herunter. Der Wind kam aus Osten, er blies in Böen von den Industrieansiedlungen am Flussufer herauf und trug den kalten, ekelerregenden Geruch von Flugbenzin mit sich. Wenn ich heute daran denke, kann ich ihn ganz hinten im Hals immer noch schmecken. Für mich wird er auf immer der Geschmack der Angst bleiben.
    »Brauche ich nicht irgendeine Geschichte, die ich ihm auftischen kann?«, fragte ich. »Was soll ich Lang erzählen?«
    »Sie haben nichts Unrechtes getan«, sagte Rycart. »Sie setzen lediglich die Arbeit Ihres Vorgängers fort. Sie recherchieren seine Cambridge-Jahre. Benehmen Sie sich  nicht so schuldbewusst. Lang kann gar nicht mit Bestimmtheit wissen, dass Sie ihm auf die Schliche gekommen sind.«
    »Wegen Lang mache ich mir auch keine Sorgen.«
    Wir verfielen beide in Schweigen. Ein paar Minuten später kam die nächtliche Skyline von Manhattan in Sicht, und ich suchte mit den Augen sofort nach der Lücke in der glitzernden Fassade. Seltsam, wie etwas nicht Vorhandenes ein Wahrzeichen sein kann. Wie ein schwarzes Loch, dachte ich: eine Träne im Kosmos. Ein Loch, das alles in sich hineinsaugen konnte – Städte, Länder, Gesetze. Und erst recht konnte es mich verschlucken. Selbst Rycart schien der Anblick zu beeindrucken.
    »Würden Sie bitte das Fenster wieder zumachen? Ich friere mich zu Tode.«
    Ich folgte seinem Wunsch. Frank hatte das Radio angestellt, leise, einen Jazzsender.
    »Was ist mit meinem Wagen?«, sagte ich. »Der steht immer noch am Logan Airport.«
    »Den können Sie morgen früh abholen.«
    Der Sender spielte ein Bluesstück. Ich bat Frank, das Radio auszumachen. Er ignorierte mich.
    »Lang glaubt, dass ich das aus persönlichen Gründen mache«, sagte Rycart. »Aber das stimmt nicht. Zugegeben, ein bisschen Rache ist natürlich auch dabei, wer lässt sich schon gern demütigen? Aber wenn wir nicht damit aufhören, Folter quasi von Amts wegen zu genehmigen, und wenn wir den Sieg immer nur nach der Zahl der Totenschädel bemessen, mit denen wir unsere Höhlen schmücken, was soll dann aus uns werden?«
    »Ich sag Ihnen, was dann aus uns wird«, sagte ich bissig. »Wir sacken zehn Millionen Dollar für unsere Memoiren ein und leben glücklich bis ans Ende unserer Tage.« Wieder bemerkte ich, dass meine Nervosität mich wütend machte. »Sie wissen doch ganz genau, dass das alles sinnlos ist. Am Ende zieht er sich mit seiner CIA-Pension aufs Altenteil zurück und sagt euch und eurem beschissenen Gerichtshof, dass ihr euch alle mal ins Knie ficken könnt.«
    »Kann sein. Aber wie haben schon die alten Griechen und Römer gesagt? Exil ist eine schlimmere Strafe als der Tod – und Langs Exil, das wird richtig garstig. Er kann nirgendwohin reisen, in kein Land der Welt, nicht mal in die paar kleinen Scheißländer, die den Gerichtshof nicht anerkennen. Die Gefahr, dass sein Flugzeug irgendwo mal runter muss, weil es technische Probleme gibt oder zum Auftanken, besteht nämlich immer. Und da warten wir dann auf ihn und schnappen ihn uns.«
    Ich warf Rycart einen kurzen Seitenblick zu.

Weitere Kostenlose Bücher