Ghost
Augenblick den Leichnam ihres Mannes nach Hause«, sagte Murphy. »Ihre Regierung hat ein Flugzeug geschickt, um sie abzuholen.«
»Ihm werden alle militärischen Ehren zuteil werden«, fügte der MI5-Mann hinzu. »Ein Denkmal im Palace of Westminster und eine Beisetzung in der Abbey, wenn sie das möchte. Seit er gestorben ist, ist er populärer denn je.«
»Hätte er schon vor ein paar Jahren tun sollen«, sagte ich. Sie lächelten nicht. »Stimmt es wirklich, dass sonst niemand umgekommen ist?«
»Ja«, sagte Murphy. »Ein wahres Wunder, können Sie mir glauben.«
»Mrs Bly fragt sich«, sagte der MI5-Mann, »ob Mr Lang seinen Mörder nicht vielleicht sogar erkannt hat und absichtlich auf ihn zugegangen ist, weil er wusste, dass so etwas passieren könnte. Können Sie uns dazu etwas sagen?«
»Hört sich ziemlich weit hergeholt an«, sagte ich. »Ich hab gedacht, ein Tanklaster explodiert.«
»Hat auf jeden Fall mächtig gerumst«, sagte Murphy, drückte auf seinen Kugelschreiber und steckte ihn in die Innentasche seiner Jacke. »Den Kopf des Mörders haben wir auf dem Dach des Flughafengebäudes gefunden.«
*
Die Beisetzung schaute ich mir zwei Tage später auf CNN an. Meine Sehkraft war mehr oder weniger wiederhergestellt. Alles war stilvoll arrangiert: die Königin, der Premierminister, der amerikanische Vizepräsident und die Hälfte aller europäischen Staatschefs; der mit dem Union Jack drapierte Sarg; die Ehrenwache; der einzelne Dudelsackpfeifer, der ein Klagelied spielte. Ruth sah in Schwarz sehr gut aus: Definitiv ihre Farbe, dachte ich. Ich suchte nach Amelia, sah sie aber nirgends. Während eines kleinen Hängers in den Trauerfeierlichkeiten brachten sie sogar ein Interview mit Richard Rycart. Natürlich war er nicht eingeladen worden, aber er hatte sich die Mühe gemacht, eine schwarze Krawatte anzulegen und aus seinem UN-Büro eine sehr bewegende Würdigung beizusteuern: ein großartiger Kollege ... ein wahrer Patriot ... nicht immer einer Meinung ... aber doch immer Freunde ... tiefes Mitgefühl mit Ruth und der Familie ... was mich anbelangt, ist dieses Kapitel abgeschlossen.
Ich sah das Handy, das er mir gegeben hatte, nahm es und warf es aus dem Fenster.
Am nächsten Tag wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Rick kam aus New York, um sich von mir zu verabschieden und um mich zum Flughafen zu fahren.
»Willst du erst die gute oder erst die schlechte Nachricht hören?«, fragte er.
»Ich bin mir nicht sicher, ob deine Vorstellung von gut auch meine ist.«
»Sid Kroll hat gerade angerufen. Ruth Lang will, dass du die Memoiren fertig schreibst, und Maddox gewährt dir einen Extramonat für die Arbeit am Manuskript.«
»Und die gute Nachricht?«
»Sehr nett. Hör zu, sei nicht so gottverdammt großkotzig, okay? Das Buch ist jetzt brandheiß. Adam Langs Stimme spricht aus dem Grab zu uns. Du musst nicht mehr länger hier dran arbeiten, du kannst es in London fertig schreiben. Übrigens, du siehst grauenhaft aus.«
»Spricht aus dem Grab zu uns?«, wiederholte ich ungläubig. »Jetzt bin ich also der Ghost eines Geistes.«
»Reg dich ab, die Situation bietet doch Möglichkeiten ohne Ende. Denk doch mal nach. Du kannst schreiben, was du willst, innerhalb gewisser Grenzen, logisch. Niemand kann dir irgendwas. Außerdem hast du ihn doch gemocht, oder?«
Über den letzten Satz dachte ich nach. Tatsächlich dachte ich darüber nach, seit ich aus der Narkose aufgewacht war. Schlimmer als die Schmerzen in den Augen und Ohren, sogar schlimmer als meine Angst, nicht wieder lebend aus dem Krankenhaus herauszukommen, war mein Schuldgefühl. Das mag komisch klingen angesichts dessen, was ich erfahren hatte, aber ich konnte mir weder eine Rechtfertigung zusammenschustern noch mich in einen Groll gegen Lang hineinsteigern. Ich war schuld. Ich hatte nicht nur meinen Kunden betrogen, persönlich wie beruflich, ich hatte mit meinen Aktionen die Abfolge der Ereignisse in Gang gesetzt. Wenn ich nicht zu Emmett gefahren wäre, hätte Emmett sich nicht mit Lang in Verbindung gesetzt, um ihn wegen des Fotos zu warnen. Und dann hätte Lang vielleicht auch nicht darauf bestanden, noch in der Nacht nach Martha’s Vineyard zurückzufliegen, um mit Ruth zu sprechen. Dann hätte ich ihm nicht beichten müssen, dass ich alles Rycart erzählt hatte. Und dann und dann ... ? Ich lag im Dunkeln in meinem Bett und konnte die quälenden Gedanken nicht abschütteln. Ich konnte einfach die Erinnerung
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