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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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abgekauten Fingernägel sehen konnte. Nachdem wir die Treppe hinuntergegangen waren, zog sie sich noch eine hellblaue Windjacke über. Als ihr blasses Gesicht wieder aus der Kragenöffnung auftauchte, schnitt sie eine Grimasse, und das kurze dunkle Haar stand ab wie die Schlangenhaare der Medusa.
    Sie hatte einen Spaziergang vorgeschlagen. Ich sähe aus, als hätte ich einen nötig, meinte sie, womit sie durchaus recht hatte. Sie suchte mir die winddichte Jacke ihres Mannes heraus, die perfekt passte, und ein Paar wasserdichter Stiefel, die zum Inventar des Hauses gehörten, und zusammen stapften wir hinaus in die stürmische Atlantikluft. Wir folgten dem Weg, der außen um den Rasen herumführte, und stiegen auf die Dünen. Zu unserer Rechten lag der kleine See mit einer Anlegestelle, neben der ein Ruderboot, das man über die Schilfbeete gezogen hatte, kieloben am Ufer lag. Links erstreckte sich der graue Ozean. Vor uns lagen ein paar Meilen nackter weißer Sand. Ich drehte mich um und sah hinter uns das gleiche Bild, mit Ausnahme eines Polizeibeamten, der einen Mantel trug und uns in etwa fünfzig Schritten Entfernung folgte.
    »Das muss Ihnen doch auf die Nerven gehen«, sagte ich und nickte hinüber zu unserer Eskorte.
    »Das ist jetzt schon so lange so, dass ich es gar nicht mehr wahrnehme.«
    Wir stemmten uns gegen den Wind. Aus der Nähe sah der Strand nicht mehr so idyllisch aus. Zerbrochene, sonderbar geformte Plastikteile, Teerklumpen, ein vor Salz steifer dunkelblauer Segeltuchschuh, eine Kabeltrommel aus Holz, tote Vögel, Gerippe und Knochenstücke – es war, als wanderten wir an einer sechsspurigen Autobahn entlang. Die großen, ans Ufer schlagenden und sich dann wieder zurückziehenden Wellen hörten sich wie vorbeirauschende Sattelschlepper an.
    »Also«, sagte Ruth. »Wie schlecht ist es?«
    »Sie haben es nicht gelesen?«
    »Nicht ganz.«
    »Tja«, sagte ich höflich. »Ein bisschen muss man schon noch dran arbeiten.«
    »Wieviel?«
    Kurz kam mir das Wort »Hiroshima« in den Sinn.
    »Man kann’s hinbekommen«, sagte ich, weil es wohl machbar war: Schließlich hatte man auch Hiroshima wieder hinbekommen. »Das Problem ist der Abgabetermin. Wir haben vier Wochen, keinen Tag länger. Das heißt, keine zwei Tage pro Kapitel.«
    »Vier Wochen!« Sie ließ ein dunkles, ziemlich dreckiges Lachen hören. »Sie kriegen ihn nie dazu, so lang stillzusitzen.«
    »Er muss es ja nicht selbst schreiben. Dafür werde ich bezahlt. Er muss nur mit mir reden.«
    Sie hatte die Kapuze hochgezogen. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, nur die weiße, scharf geschnittene Nasenspitze. Alle sagten, dass sie intelligenter sei als ihr Mann und dass sie das Leben auf dem Gipfel sogar noch mehr genoss als er. Wenn er zu Staatsbesuchen ins Ausland reiste, begleitete sie ihn gewöhnlich: Sie weigerte sich, zu Hause herumzusitzen. Man brauchte sich die beiden nur im Fernsehen anzuschauen, um zu wissen, wie gern sie sich in seinem Erfolg sonnte. Adam und Ruth Lang: die Kraft und die Herrlichkeit. Sie blieb stehen und wandte sich dem Meer zu. Die Hände hatte sie tief in den Taschen vergraben. Ein Stück weiter hinten, als spielte er »Ochs vorm Berg«, blieb auch der Polizeibeamte stehen.
    »Sie waren meine Idee«, sagte sie.
    Ich schwankte im Wind. Fast wäre ich nach vorn gekippt »Wirklich?«
    »Ja. Weil Sie Christys Buch geschrieben haben.«
    Es dauerte einen Augenblick, bis ich darauf kam, wen sie meinte. Christy Costello. Ich hatte schon lange nicht mehr an ihn gedacht. Er war mein erster Bestseller. Die intimen Memoiren eines Rockstars aus den Siebzigern. Alkohol, Drogen, Mädchen, ein fast tödlicher Autounfall, Operation und schließlich Wiederherstellung und -auferstehung in den Armen einer guten Frau. Die Geschichte hatte alles. Man konnte sie seinem Grunge-Teenager-Töchterchen oder seiner frömmelnden Uroma unter den Weihnachtsbaum legen, und beide wären gleich glücklich gewesen. Allein von der Hardcover-Ausgabe wurden in Großbritannien dreihunderttausend Stück verkauft.
    »Sie kennen Christy?« Das konnte ich mir fast nicht vorstellen.
    »Letzten Winter waren wir in seinem Haus auf Mustique. Ich habe in seinen Memoiren gelesen. Das Buch lag neben dem Bett.«
    »Das ist mir jetzt unangenehm.«
    »Wieso denn? Es ist brillant, auf eine schreckliche Art brillant. Wenn man sich beim Abendessen Christys chaotische Geschichten anhört und dann liest, wie Sie aus diesem Durcheinander etwas gemacht haben, was einer

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