Ghost
letzten Augenblick noch bezähmen. »Halten wir uns an die Sachen, die niemand außer Ihnen kennt – die tagtägliche Erfahrung, wie das ist, wenn man ein Land führt. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie morgens aufstehen? Wie stark ist Ihre nervliche Anspannung? Wie ist das, wenn man vom normalen Leben so völlig abgeschnitten ist? Wie ist das, wenn die Leute einen hassen?«
»Besten Dank.«
»Die Politik fasziniert die Menschen nicht – wer schert sich schon um Politik? Was die Menschen fasziniert, sind immer die Menschen – die Details im Leben eines anderen Menschen. Aber weil diese Dinge Ihnen natürlich nur allzu vertraut sind, können Sie auch nicht wissen, was die Menschen interessiert. Man muss es Ihnen entlocken. Und dafür brauchen Sie mich. Machen Sie kein Buch für Politjunkies, machen Sie eins für jedermann.«
»Die Memoiren des Volkes«, sagte Amelia trocken. Ich ignorierte sie, und – viel wichtiger – auch Lang beachtete sie nicht, sondern schaute mich auf einmal völlig anders an: Als ob hinter seinen Augen eine Glühbirne mit der Aufschrift »Eigennutz« angeknipst worden wäre.
»Den meisten ehemaligen Regierungschefs würde man das nicht abnehmen«, sagte ich. »Die sind zu steif. Zu ungelenk. Zu alt. Wenn die das Jackett ablegen und ihre Krawatte abschnallen und, sagen wir, einen ...« Ich zeigte auf ihn. »... Trainingsanzug anziehen, dann sieht das aus wie Maskerade. Aber Sie sind anders. Und deshalb sollten Sie auch eine andere Art von politischer Autobiografie schreiben, für ein anderes Zeitalter.«
Lang schaute mich an. »Was meinen Sie, Amelia?«
»Ich meine, dass Sie beide wie füreinander geschaffen sind. Ich komme mir schon vor wie der Anstandswauwau.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich jetzt den Rekorder anstelle?«, fragte ich. »Möglich, dass bei dem Gespräch etwas Brauchbares herauskommt. Keine Angst, alle Aufnahmen sind Ihr Eigentum.«
Lang zuckte die Achseln und machte eine Handbewegung hin zum Walkman. Als ich die Aufnahmetaste drückte, schlüpfte Amelia aus dem Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
»Das Erste, was mir aufgefallen ist«, sagte ich und schob einen Sessel um den Schreibtisch herum, damit ich mich Lang gegenübersetzen konnte, »ist, dass Sie eigentlich kein Politiker im konventionellen Sinn sind, trotz Ihres unglaublichen Erfolgs.« Das war die Art von hartem Verhör, auf die ich spezialisiert war. »Ich meine, in Ihrer Jugend, da hätte doch niemand geglaubt, dass aus Ihnen mal ein Politiker werden würde, oder?«
»Gott, nein«, sagte Lang. »Keine Spur. Ich habe mich kein bisschen für Politik interessiert, weder als Kind noch als Teenager. Leute, die von Politik besessen waren, die habe ich für verrückt gehalten. Tu ich übrigens immer noch. Ich habe gern Fußball gespielt. Theater und Kino, das hat mich interessiert. Später dann hatten es mir die Mädchen angetan. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass ich mal Politiker werden würde. Die meisten Studentenpolitiker kamen mir wie Volltrottel vor.«
Bingo!, dachte ich. Wir hatten erst vor zwei Minuten angefangen, und schon hatte ich einen möglichen Einstieg für das Buch:
In meiner Jugend hat mich Politik überhaupt nicht interessiert. Eigentlich habe ich Menschen, die von Politik besessen waren, für verschroben gehalten.
Was ich übrigens immer noch tue ...
»Was hat sich geändert? Was hat Sie plötzlich an der Politik so angesprochen?«
»Angesprochen kommt in etwa hin«, sagte Lang und lachte. »Nach Cambridge habe ich mich ein Jahr lang treiben lassen. Wirklich, ich hab gehofft, dass irgendein Theater in London das Stück herausbringen würde, an dem ich mitgearbeitet habe. Was aber nicht geklappt hat. Und so bin ich in einer Bank gelandet, hab in einem Loch von Souterrain in Lambeth gewohnt und hab mich selbst bemitleidet, weil alle meine Freunde aus Cambridge bei der BBC gearbeitet haben oder ein Vermögen als Sprecher für Werbespots kassiert haben oder was sonst alles. Ich weiß noch, es war ein Sonntagnachmittag, es hat geregnet, und ich hab immer noch im Bett gelegen, da hör ich, wie jemand an die Tür klopft ...«
Wer ihn an diesem Morgen sah, wäre nie darauf gekommen, dass er diese Geschichte sicher schon tausendmal erzählt hatte. Er saß zurückgelehnt in seinem Sessel, erinnerte sich lächelnd, während er die immer gleichen Worte benutzte, die immer gleichen erprobten Gesten – er mimte das Klopfen an der Tür –, und ich dachte, was für
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