Ghost
beschriebene Seiten Material ergeben. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft auf der Insel spürte ich so etwas wie Optimismus.
»Das ist mir alles neu«, sagte Amelia, die sich über Lucys Schulter beugte und mitlas, während Langs Worte auf dem Bildschirm erschienen. »Ich habe nie gehört, dass er irgendwas davon jemals erwähnt hat.«
»Das menschliche Gedächtnis ist eine Schatzkammer, Amelia«, sagte ich trocken. »Man muss nur den passenden Schlüssel finden.«
Ich ging in die Küche, die in etwa so groß wie meine gesamte Londoner Wohnung war. Der polierte Granit darin hätte ausgereicht, um damit ein Familienmausoleum zu vertäfeln. Ein Tablett mit Sandwichs stand bereit. Ich legte mir eines davon auf einen Teller und streunte im rückwärtigen Teil des Hauses herum, bis ich zu einem Solarium – zumindest nehme ich an, dass man das so nennt – mit einer großen Glasschiebetür kam, die hinaus zu einem Swimmingpool führte, der mit einer grauen Plane abgedeckt war. In der durchhängenden Mitte hatte sich Regenwasser gesammelt, auf dem schaumartiger brauner Matsch aus verrottetem Laub trieb. Am hinteren Rand der Rasenfläche standen zwei würfelförmige silberweiße Holzhütten, dahinter Straucheichen unter weißem Himmel. Eine kleine dunkle Gestalt, die fast wie eine Kugel aussah, so vermummt war sie gegen die Kälte, rechte Blätter zusammen und schaufelte sie auf eine Schubkarre. Das musste Duc sein, der vietnamesische Gärtner. Muss unbedingt versuchen, mal im Sommer hierherzukommen, dachte ich.
Ich setzte mich auf einen Liegestuhl, der muffig nach Chlor und Sonnencreme roch, und rief Rick in New York an. Er war in Eile, wie üblich.
»Wie läuft’s?«
»Der Morgen ist gut gelaufen. Der Mann ist ein Profi.«
»Hervorragend. Ich ruf gleich Maddox an. Wird ihn freuen. Übrigens, die ersten fünfzigtausend sind gerade eingegangen. Ich leite sie weiter, bis später.«
Dann war die Leitung tot.
Ich aß mein Sandwich und ging wieder nach oben. Das Handy hielt ich immer noch fest umklammert. Mir war eine Idee gekommen, und mein frisch erwachtes Selbstvertrauen gab mir den Mut, sie in die Tat umzusetzen. Ich stöpselte erst Amelias USB-Stick und dann mit einem Kabel mein Handy an meinen Computer an und wählte mich ins Internet ein. Wie viel leichter würde mein Leben, redete ich mir zu, wie viel schneller hätte ich den Job erledigt, wenn ich jeden Abend im Hotelzimmer an dem Buch arbeiten könnte. Ich sagte mir, dass ich ja keinen Schaden anrichtete. Die Risiken waren minimal. Den Laptop hatte ich fast immer bei mir. Er war so klein, dass ich ihn mir, wenn nötig, nachts unters Kopfkissen legen konnte. In der Sekunde, als ich online war, adressierte ich eine E-Mail an mich selbst, hängte das Manuskript an und drückte auf SENDEN.
Das Übertragen schien eine Ewigkeit zu dauern. Von unten rief Amelia meinen Namen. Ich schaute zur Tür, und plötzlich wurden meine Finger klobig und ungelenk vor Angst. »Ihre Datei ist übertragen worden«, sagte die weibliche Stimme, die sich mein Internetprovider aus welchem Grund auch immer zu der seinen erkoren hatte. »Sie haben Post«, verkündete sie einen Augenblick später.
Als irgendwo in dem großen Haus eine Sirene losging, zog ich schnell erst das Verbindungskabel und dann den Stick aus dem Laptop. Gleichzeitig hörte ich hinter mir ein Brummen und Rattern. Ich fuhr herum und sah, wie vor dem Fenster ein schweres Eisenrollo von der Decke zum Boden rauschte. Nacheinander verschwanden Himmel, Meer und Dünen. Der Winternachmittag versank im Halbdunkel, bis schließlich auch der letzten Streifen Licht ausgesperrt war und ich völlig im Dunkeln stand. Ich tastete nach der Tür, und als ich sie aufriss, traf mich das ungedämpfte Heulen der Sirene mit solcher Wucht, dass mein Magen vibrierte.
Das Gleiche im Wohnzimmer: ein, zwei, drei Rollos fielen wie Stahlvorhänge nach unten. Ich stolperte in der Dunkelheit, stieß mit dem Knie an eine scharfe Kante und ließ das Handy fallen. Als ich mich bückte, um es wieder aufzuheben, erstickte das Heulen der Sirene in einem anschwellenden Ton und verstummte dann mit einem dumpfen Stöhnen ganz. Ich hörte, wie schwere Stiefel die Treppe herauftrampelten. Dann stach ein Lichtstrahl in den riesigen Raum und spießte mich auf: verstohlen, die Arme schützend vor das Gesicht haltend, stand ich vorgebeugt da, eine Parodie der Schuld.
»Tut mir leid, Sir«, sagte ein Mann, den ich nicht sehen konnte, verdutzt. Wahrscheinlich
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