Ghost
konnte, schaute sie mein einziges Gepäckstück an.
»Ist das wirklich alles?«
»Ich reise leicht.«
»Leicht? Ultralight trifft’s wohl besser.« Sie seufzte. »Na los, kommen Sie mit.«
Mein Gepäckstück war einer von diesen allgegenwärtigen Rollkoffern mit ausziehbarem Griff und kleinen Rädern. Er verursachte ein geschäftiges Rattern auf dem Steinboden, während ich Amelia durch den Gang in den hinteren Teil des Hauses folgte.
»Ich habe gestern Abend ein paarmal versucht, Sie zu erreichen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Aber Sie haben nicht abgehoben.«
Bingo, dachte ich, jetzt kommt’s.
»Ich hatte vergessen, den Akku aufzuladen.«
»Hm. Und was war mit dem Telefon in Ihrem Zimmer? Da habe ich es auch probiert.«
»Ich war aus.«
»Bis Mitternacht?«
Ich zuckte innerlich zusammen. »Was gab’s denn so Wichtiges?«
»Das hier.«
Sie blieb vor einer Tür stehen, öffnete sie und trat einen Schritt zur Seite, um mir den Vortritt zu lassen. Das Zimmer lag im Dunkeln, aber die schweren Vorhänge waren in der Mitte nicht ganz zugezogen, sodass genügend Licht ins Innere fiel, um die Umrisse eines Doppelbetts zu erkennen. Es roch nach muffigen Klamotten und Alte-Damen-Seife. Amelia durchquerte den Raum und zog mit einer forschen Bewegung die Vorhänge zurück.
»Ab heute schlafen Sie hier.«
Es war ein einfaches Zimmer mit Glasschiebetür, durch die man direkt auf den Rasen gelangte. Außer dem Bett befanden sich ein Schreibtisch mit einer verstellbaren Arbeitslampe in dem Raum, ein Armsessel, der mit etwas Beigefarbenem, grob Gewebtem überzogen war, und ein Einbauschrank mit Spiegeltüren, der eine ganze Wand einnahm. Außerdem konnte ich durch eine offene Tür in ein weiß gefliestes Bad sehen: Es war sauber, funktionell, trostlos.
Ich versuchte mich an einem Witz. »Hier sperren Sie also die Uroma weg.«
»Nein, McAra.«
Sie schob eine der Türen des Kleiderschranks auf, in dem ein paar Kleiderbügel mit Jacketts und Hemden hingen. »Wir sind noch nicht dazu gekommen, die Sachen auszuräumen. McAras Mutter lebt im Altersheim, sie hat keinen Platz dafür. Aber Sie reisen ja leicht, wie Sie sagen. Außerdem ist es nur für ein paar Tage, jetzt, wo man die Veröffentlichung vorgezogen hat.«
Ich bin nie sonderlich abergläubisch gewesen, aber ich glaube daran, dass bestimmte Orte eine Ausstrahlung haben, und vom ersten Augenblick an, als ich das Zimmer betrat, habe ich es nicht gemocht. Die Vorstellung, McAras Kleidungsstücke zu berühren, erfüllte mich mit einem Gefühl, das an Panik grenzte.
»Ich habe mich immer an eine Regel gehalten, die besagt, dass ich nie im Haus meines Auftraggebers schlafe«, sagte ich, wobei ich versuchte, entspannt und beiläufig zu klingen. »Am Ende eines Arbeitstages ist es mir äußerst wichtig, den Ort meiner Arbeit verlassen zu können.«
»Aber Sie haben hier immerhin dauerhaften Zugriff auf das Manuskript. Wollten Sie das nicht?« Sie bedachte mich mit einem Lächeln, in dem sich ausnahmsweise eine aufrichtige Fröhlichkeit spiegelte. Sie hatte mich exakt da, wo sie mich haben wollte, im buchstäblichen wie übertragenen Sinn. »Außerdem, vor den Spießruten der Medienmeute gibt es kein Entrinnen. Früher oder später kriegen die raus, wer Sie sind, und dann kommen die nervenden Fragen. Und das wird grässlich. Hier können Sie in Frieden arbeiten.«
»Haben Sie kein anderes Zimmer für mich?«
»Im Haupthaus gibt es nur sechs Schlafzimmer. Jeweils eins für Adam und Ruth. Eins für mich. Die Mädchen teilen sich eins. Die Wachpolizisten brauchen eins, wenn sie Nachtschicht haben. Und der Gästebereich ist komplett von der Special Branch belegt. Seien Sie nicht so zimperlich, die Bettwäsche ist frisch.« Sie konsultierte ihre elegante goldene Armbanduhr. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sidney Kroll muss jede Minute eintreffen. Die Erklärung des Strafgerichtshofs wird in einer knappen halben Stunde erwartet. Warum räumen Sie nicht Ihre Sachen ein, und dann kommen Sie nach oben und setzen sich mit uns vor den Fernseher? Egal, wie die entscheiden, Sie sind in jedem Fall davon betroffen. Sie sind jetzt praktisch einer von uns.«
»Ach ja?«
»Sie haben gestern die Presseerklärung verfasst. Damit sind Sie Komplize.«
Sie verließ das Zimmer, aber ich packte nicht aus. Den Mumm hatte ich noch nicht. Ich setzte mich vorsichtig auf die Bettkante, schaute aus dem Fenster und betrachtete den windzerzausten Rasen, das niedrige Gestrüpp und
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