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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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nahm sich mein sonderbares Benehmen in ihren Augen garantiert wie Kinderkram aus.
    Ich folgte ihr in die Küche. »Ist Mrs Lang im Haus?«, fragte ich.
    »Nein, Sir. Vineyard Haven. Shopping.«
    Sie hatte mir ein Club-Sandwich gemacht. Ich setzte mich auf einen der Hocker an der Frühstückstheke und zwang mich zum Essen, während Dep die Reste in Alufolie packte und zurück in eins der sechs Exemplare von Rhineharts Kühlschrank-Kollektion stellte. Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte. Normalerweise hätte ich mich wieder an den Schreibtisch gesetzt und den Nachmittag eisern durchgearbeitet. Aber zum ersten Mal in meiner Karriere als Ghost hatte ich so etwas wie eine Schreibblockade. Den halben Vormittag hatte ich damit verplempert, eine liebreizend intime Reminiszenz an eine Begebenheit zu komponieren, die es nicht gegeben hatte – die es nicht gegeben haben konnte, weil nämlich Ruth Langs berufliche Karriere in London erst 1976 begonnen hatte, also zu einer Zeit, als ihr zukünftiger Mann schon ein Jahr lang Mitglied der Partei gewesen war.
    Sogar bei dem Gedanken, die Cambridge-Zeit anzupacken, was ich am Anfang als lockere Übung betrachtet hatte, sah ich jetzt nur auf eine weiße Wand. Was war das für ein Bursche gewesen, dieser unbekümmerte Möchtegernschauspieler, der hinter den Mädchen her gewesen war und mit Politik nichts am Hut gehabt hatte? Was, wenn nicht Ruth, hatte plötzlich einen Parteiaktivisten aus ihm gemacht, der in Sozialbausiedlungen Klinken putzte? Das Ganze ergab für mich keinen Sinn. In diesem Moment erkannte ich, dass ich ein fundamentales Problem mit unserem ehemaligen Premierminister hatte. Er war kein psychologisch glaubwürdiger Charakter. In natura oder auf dem Bildschirm schien er eine starke Persönlichkeit zu sein. Aber wenn man sich hinsetzte und über ihn nachdachte, schien er sich aufzulösen. Und das machte es mir fast unmöglich, meine Arbeit zu erledigen: Anders als bei all den Durchgeknallten aus dem Showbiz und dem Sportbetrieb, mit denen ich in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatte, konnte ich mir von Adam Lang einfach kein Bild machen.
    Ich zog wieder mein Handy hervor und überlegte, ob ich Rycart anrufen sollte. Doch je mehr ich darüber nachdachte, wie die Unterhaltung verlaufen könnte, desto unsicherer wurde ich. Was genau sollte ich zu ihm sagen? »Hallo, Mr Rycart, Sie kennen mich nicht, aber ich bin der Ersatzmann von Adam Langs Ghostwriter Mike McAra. Ich glaube, er hat ein oder zwei Tage, bevor es seine Leiche an den Strand gespült hat, noch mit Ihnen gesprochen.« Ich steckte das Telefon wieder in die Tasche und hatte plötzlich das Bild von McAras massigem Körper vor Augen, der von der Brandung hin und her geworfen wurde, und wurde es nicht mehr los. War er auf Felsen aufgeschlagen oder gleich auf den weichen Sand gespült worden? Wie hieß doch gleich der Strand, wo man ihn gefunden hatte? Bei unserem gemeinsamen Lunch in London hatte Rick den Namen erwähnt. Lambert irgendwas.
    »Eine Frage, Dep«, sagte ich zu der Haushälterin.
    Sie richtete sich vor dem Kühlschrank auf, drehte sich um und schaute mich mit ihrem unschuldig-sympathischen Gesicht an.
    »Sir?«
    »Gibt’s im Haus eine Karte von der Insel, die ich mir mal ausleihen könnte?«

ZEHN
    »Es ist zwar problemlos möglich, ein Buch für jemanden zu schreiben, nachdem man nur mit ihm gesprochen hat. Zusätzliche Recherche ist jedoch oft von Nutzen, um sich mehr Material und neue Ideen für lebendige Schilderungen zu besorgen.«
    »GHOSTWRITER«
     
     
    Der Strand schien etwa zehn Meilen entfernt zu sein, an der Nordwestseite von Martha’s Vineyard. Lamberts Cove, genau, so hieß er.
    Die Namen in der Gegend hatten allesamt einen verführerischen Klang: Blackwater Brook, Uncle Seth’s Pond, Indian Hill, Old Herring Creek Road. Wie von einer Landkarte aus einer Abenteuergeschichte für Kinder, und so in etwa stellte ich mir das auch vor: als amüsanten Ausflug. Dep schlug vor, dass ich mir ein Fahrrad ausleihen sollte – oja, MrRhinehart hat viele, viele Fahrräder, extra für Gäste. Auch mir gefiel der Gedanke, obwohl ich seit Jahren auf keinem Fahrrad mehr gesessen hatte und mir unbewusst klar war, dass nichts Gutes dabei herauskommen würde. Über drei Wochen waren inzwischen vergangen, seitdem man die Leiche geborgen hatte. Was konnte man da jetzt noch sehen ? Aber Neugier ist ein starker menschlicher Antrieb – zugegeben, deutlich schwächer als Sex und Habgier, aber doch

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