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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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besuchten: G. W. Syme (Caius), W. K. Innes (Pembroke), A. Parke (Newnham), P. Emmett (St John’s), A. D. Martin (King’s), E. D. Vaux (Christ’s), H. C. Martineau (Girton), A. P. Lang (Jesus).
    In der unteren linken Ecke befand sich ein Copyright-Stempel der Cambridge Evening News, rechts daneben hatte jemand mit blauem Kugelschreiber schräg nach oben weisend eine Telefonnummer mit der Auslandsvorwahl für Großbritannien gekritzelt. Kein Zweifel, McAra, unermüdlicher Faktenjäger, der er war, hatte ein Mitglied des Ensembles aufgestöbert. Ich fragte mich, um wen es sich handelte und ob er oder sie sich noch an die Ereignisse auf den Fotos erinnerte. Aus Lust an der Laune zog ich mein Handy heraus und wählte die Nummer.
    Statt des vertrauten doppelten Klingeltons aus England hörte ich den einen durchgehenden der Amerikaner. Ich wartete eine Zeit lang und wollte gerade wieder auflegen, als ich die vorsichtige Stimme eines Mannes hörte.
    »Richard Rycart.«
    Die Stimme mit dem leicht kolonialen Einschlag – »Richard Roicart« – war unverkennbar die des früheren Außenministers. Er klang misstrauisch, als er fragte: »Mit wem spreche ich?«
    Ich unterbrach sofort die Verbindung. Ich war dermaßen erschrocken, dass ich das Telefon aufs Bett warf. Da lag es etwa eine halbe Minute, dann fing es an zu klingeln. Ich stürzte zum Bett und schaute auf das Display, auf dem »Teilnehmer unbekannt« stand. Ich schaltete das Handy aus. Wieder verging eine halbe Minute, in der ich zu verblüfft war, um mich zu rühren.
    Jetzt nur keine vorschnellen Schlüsse ziehen, sagte ich mir. Ich weiß nicht mit absoluter Sicherheit, ob McAra diese Nummer notiert hat oder sie gar angerufen hat. Ich schaute nach, wann der Umschlag abgestempelt worden war. Er hatte das Vereinigte Königreich am 3. Januar verlassen – neun Tage vor seinem Tod.
    Plötzlich schien es mir von entscheidender Bedeutung zu sein, alle noch verbliebenen Spuren meines Vorgängers aus dem Zimmer zu tilgen. Hastig räumte ich die letzten Kleidungsstücke aus dem Schrank, Socken und Unterwäsche, die ich aus den Schubladen in seinen Koffer kippte (ich weiß noch, dass er dicke Kniestrümpfe und ausgebeulte weiße Unterhosen trug – der Bursche war bis auf die Haut alte Schule). Ich fand keinerlei private Papiere – kein Tagebuch oder Adressbuch, keine Briefe, nicht mal Bücher. Ich nahm an, dass die Polizei diese Dinge nach seinem Tod mitgenommen hatte. Nachdem ich seinen blauen Einwegrasierer aus Plastik, Zahnbürste, Kamm und alle sonstigen Utensilien aus dem Bad entfernt hatte, war der Job erledigt: Der materielle Besitz von Michael McAra, ehemaliger Mitarbeiter des Right Honourable Adam Lang, stand in seinem Koffer verstaut zur Entsorgung bereit. Ich zerrte den Koffer aus dem Zimmer und durch den Gang bis ins Solarium. Von mir aus konnte er da bis zum Sommer stehen bleiben: Hauptsache, ich brauchte ihn nicht mehr zu sehen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich wieder zu Atem kam.
    Als ich zu seinem, meinem, unserem Zimmer zurück ging, glaubte ich jedoch, immer noch seine Gegenwart zu spüren, denn ich hatte das Gefühl, als folgte er mir mit ungelenk federnden Schritten. »Verpiss dich, McAra«, brummelte ich mir selbst zu. »Verpiss dich einfach, und lass mich in Ruhe das Buch schreiben, damit ich hier schnell wieder rauskomme.« Ich stopfte die Fotos und Fotokopien wieder in den Umschlag und schaute mich im Zimmer nach einem geeigneten Versteck um. Dann hielt ich plötzlich inne und fragte mich, warum eigentlich. Warum sollte ich es verstecken wollen? Der Inhalt fiel ja nicht gerade unter geheime Verschlusssache. Er hatte nichts mit Kriegsverbrechen zu tun. Er zeigte einen jungen Mann, der vor über dreißig Jahren Studententheater gespielt und an einem sonnigen Tag am Fluss mit seinen Freunden Champagner getrunken hatte. Eine Menge Gründe waren vorstellbar, warum Rycarts Nummer auf der Rückseite dieses Fotos stand. Trotzdem, irgendwie verlangte der Umschlag danach, versteckt zu werden. Mangels eines intelligenteren Einfalls verfiel ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, auf das Abgedroschenste, das man sich vorstellen kann: Ich hob die Matratze hoch und schob den Umschlag darunter.
    »Lunch, Sir«, rief eine leise Stimme im Gang. Dep. Ich drehte mich ruckartig um. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich gesehen hatte, andererseits, spielte das überhaupt eine Rolle? Verglichen mit dem, was sie in den vergangenen Wochen erlebt haben musste,

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