Ghost
handelte, Langs Partei, und dass er auf einem Gruppenfoto zusammen mit anderen freiwilligen Wahlhelfern zu sehen war. Man konnte ihn auf der schlechten Fotokopie kaum erkennen. Sein Haar war lang, die Kleidung schäbig. Aber er war es, kein Zweifel, Mitglied einer Truppe, die in einer Sozialbausiedlung von Tür zu Tür zog. »Wahlhelfer: A. Lang.«
Mehr als alles andere war ich verwirrt. Jedenfalls dachte ich nicht an finstere Machenschaften. Wir alle neigen dazu, unsere eigene Wirklichkeit aufzupolieren. Das fängt an mit einer persönlichen Fantasie über unser Leben, die wir dann, vielleicht aus Spaß, in eine Anekdote verwandeln. Niemand kommt zu Schaden. Im Lauf der Jahre wird diese Anekdote so regelmäßig wiederholt, dass sie schließlich als Tatsache akzeptiert wird. Und schon bald wird es einem selbst peinlich, dieser Tatsache zu widersprechen. Mit der Zeit glauben wir dann wahrscheinlich sogar, dass diese Anekdote schon immer wahr gewesen ist. Und dieser allmählich an Umfang zunehmende Mythos bildet sich dann, wie ein Korallenriff, zu einem historischen Bild aus. Ich konnte mir vorstellen, dass es Lang gefallen hatte, so zu tun, als wäre er nur deshalb in die Politik gegangen, weil er ein Auge auf ein Mädchen geworfen hatte. Ihm schmeichelte es, weil es ihn weniger ehrgeizig erscheinen ließ, ihr schmeichelte es, weil es ihren Einfluss auf ihn größer erscheinen ließ, als er wahrscheinlich tatsächlich war. Und dem Publikum gefiel es auch. Jeder war glücklich. Die Frage, die jetzt auftauchte, lautete: Was sollte ich damit anfangen?
Das ist im Ghostwriter-Gewerbe kein ungewöhnliches Dilemma, und die Etikette für derartige Fälle ist einfach: Man weist den Kunden auf die Diskrepanz hin und überlässt ihm die Entscheidung. Es ist nicht Aufgabe des Ghostwriters, auf absoluter Wahrheit zu bestehen: Wäre sie es, dann würde unser Zweig der Verlagsbranche unter der Totlast der Realität zusammenbrechen. Wie die Kosmetikerin ihrer Kundin nicht sagt, dass sie ein Gesicht wie ein Sack Kartoffeln hat, so konfrontiert der Ghostwriter den Autobiografen nicht mit der Tatsache, dass die Hälfte seiner liebevoll gehegten Lebenserinnerungen falsch ist. Nicht diktieren, sondern protegieren: Das ist unser Motto. Offensichtlich hatte McAra es versäumt, diese heilige Regel zu beherzigen. Er musste bezüglich dessen, was man ihm erzählte, seine Zweifel gehabt haben, hatte ein Recherchepäckchen aus den Archiven bestellt und dann des Expremierministers geschliffenste Anekdote aus seinen Memoiren gestrichen. Was für ein Dilettant! Ich konnte mir vorstellen, wie wohlwollend das aufgenommen worden war. Zweifellos erklärte das zum Teil, warum das Verhältnis am Ende so angespannt gewesen war.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Material aus Cambridge zu. Eine merkwürdige Unschuld umgab diese verblasste Jeunesse dorée, die in dem vergessenen, aber glücklichen Tal irgendwo zwischen den kulturellen Gipfelpunkten von Hippiebewegung und Punk gestrandet war. Spirituell schien sie den Sechzigern näherzustehen als den Siebzigern. Die Mädchen trugen lange geblümte Spitzenkleider mit tiefen Ausschnitten und große Strohhüte gegen die Sonne. Die Haare der Männer waren so lang wie die der Frauen. Auf dem einzigen Farbfoto hielt Lang eine Champagnerflasche in der einen und etwas, was wie ein Joint aussah, in der anderen Hand. Ein Mädchen steckte ihm Erdbeeren in den Mund, während im Hintergrund ein Mann mit nacktem Oberkörper seine beiden Daumen hochreckte.
Das größte der Ensemblefotos zeigte acht junge Leute, die nebeneinander mit ausgebreiteten Armen im Scheinwerferlicht standen, als hätten sie in einem Cabaret gerade eine furiose Gesangs- und Tanznummer beendet. Lang – in gestreiftem Blazer, mit Fliege und rundem, flachem Strohhut – stand ganz rechts. Die beiden Mädchen der Truppe trugen ein hautenges Trikot, Fischnetzstrumpfhosen und High Heels; eine hatte kurzes blondes Haar, die andere dunkle Krauslocken, möglicherweise eine Rothaarige (auf dem Schwarz-Weiß-Foto unmöglich festzustellen); beide hübsch. Außer Lang erkannte ich noch zwei andere Männer: einen inzwischen berühmten Komiker und einen Schauspieler. Einer von den restlichen Männern sah älter als die anderen aus, vielleicht ein Doktorand. Alle trugen weiße Handschuhe.
Auf der Rückseite klebte ein Zettel, auf dem mit Schreibmaschine die Namen der Akteure und der Colleges aufgelistet waren, die sie an der Universität Cambridge
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