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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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eigentlich bis heute noch nicht. Ich konnte ja nicht mit Bestimmtheit sagen, dass McAra der letzte Fahrer gewesen war, der eine Adresse einprogrammiert hatte. Es hätte auch ein anderer Gast von Rhinehart gewesen sein können, es hätte Dep oder Duc gewesen sein können oder sogar die Polizei. Was mir bestimmt in meinem Hinterkopf herumschwirrte, war der Gedanke, dass ich ja jederzeit wieder umkehren könnte. Wahrscheinlich hat mir das ein falsches Gefühl der Sicherheit gegeben.
    Als ich Edgartown hinter mir gelassen hatte und auf der Straße nach Vineyard Haven fuhr, hörte ich mehrere Minuten lang nichts von meiner himmlischen Reiseleiterin. Ich fuhr durch dunkle Waldstücke und kam an kleinen weißen Häusern vorbei. Die wenigen Wagen, die mir entgegenkamen, fuhren mit eingeschalteten Scheinwerfern und glitten auf der vom Regenwasser glitschigen Straße langsam an mir vorbei. Ich saß weit vorgebeugt hinter dem Steuer und schaute angestrengt in den schmutzigen Morgen. Ich passierte eine Highschool, wo gerade die ersten Schüler eintrafen und neben der sich die einzige Ampel der Insel befand (auf der Karte war sie wie eine Touristenattraktion eingezeichnet). Die Straße beschrieb eine scharfe Kurve; es hatte den Anschein, als ragten die Bäume in die Straße hinein. Auf dem Monitor schienen Namen wie Deer Hunter’s Way und Skiff Avenue auf.
    »In zweihundert Metern rechts abbiegen.«
    »In fünfzig Metern rechts abbiegen.«
    »Rechts abbiegen.«
    Auf dem Weg hinunter nach Vineyard Haven kam mir ein Schulbus entgegen, der hart mit der Steigung zu kämpfen hatte. Halb im Unterbewusstsein nahm ich linker Hand eine wie ausgestorbene Einkaufsstraße wahr, und kurz darauf befand ich mich schon mitten in dem flachen, schäbigen Ortsteil, der sich rund um den Hafen ausbreitete. Ich bog um eine Ecke, glitt an einem Café vorbei und gelangte auf einen großen Parkplatz. In etwa hundert Metern Entfernung, am anderen Ende der regengepeitschten, von Pfützen übersäten Asphaltfläche, schob sich eine Autoschlange die Rampe zur Fähre hinauf. Der rote Pfeil wollte mich genau dort haben. Im geheizten Innenraum des Wagens sah die auf dem Monitor vorgeschlagene Route verlockend aus, wie ein von Kinderhand gemaltes Bild zum Thema »Sommerferien« – eine gelbe Pier, die hineinragt in den strahlend blauen Hafen von Vineyard Haven. Aber das reale Bild jenseits der Windschutzscheibe war ganz und gar nicht verlockend: Da sah ich nur das rostig schwarze Maul der Fähre und dahinter graue See und wirbelnde Schwaden aus wässrigem Schnee.
    Jemand klopfte links von mir ans Glas. Ich tastete nach dem Fensterheber und ließ die Scheibe heruntersurren. Der Mann trug dunkelblaues Ölzeug. Mit einer Hand musste er die Kapuze festhalten, sonst hätte der Wind sie ihm vom Kopf gerissen. Das Wasser tropfte von seiner Brille. Die Marke auf der Brust wies ihn als Angestellten der Steamship Authority aus.
    »Sie müssen sich beeilen«, brüllte er und drehte den Rücken gegen den Wind. »Die Fähre legt um acht Uhr fünfzehn ab. Das Wetter wird schlechter, gut möglieh, dass dann erst mal keine mehr rausgeht.« Er öffnete für mich die Wagentür und drängte mich richtiggehend zum Ticketschalter. »Ich sag vorn Bescheid, dass Sie gleich kommen.«
    Ich ließ den Motor laufen und betrat das kleine Hafengebäude. Sogar als ich vor dem Schalter stand, hatte ich mich noch nicht entschieden. Durch das Fenster konnte ich sehen, wie die letzten Wagen an Bord fuhren. Der Parkplatzwächter stand neben dem Ford und stampfte gegen die Kälte mit den Füßen auf den Boden. Er merkte, dass ich in seine Richtung blickte, und winkte mir zu, dass ich mich beeilen solle.
    Die Frau hinter dem Schalter schaute mich an, als könnte sie sich ein angenehmeres Plätzchen für einen Freitagmorgen kurz nach acht Uhr morgens vorstellen: So viel hatten wir gemeinsam.
    »Fahren Sie jetzt, oder was?«
    Ich seufzte, zog meine Brieftasche heraus, warf ihr fünf Zehndollarscheine hin und erhielt dafür eine Fahrkarte und ein paar Münzen Wechselgeld.
     
     
    *
     
    Nachdem ich über die scheppernde Stahlrampe in den dunklen, schmutzig-öligen Schiffsbauch gefahren war, dirigierte mich ein weiterer Mann in Regenzeug auf meinen Standplatz. Zentimeterweise kroch ich vorwärts, bis er die Hand hob. Um mich herum stiegen die Fahrer bereits aus ihren Wagen und zwängten sich durch die schmalen Zwischenräume zu den Treppenaufgängen. Ich blieb sitzen und versuchte noch einmal

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