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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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herauszufinden, wie das Navigationssystem funktionierte. Doch nach etwa einer Minute klopfte ein Crewmitglied an mein Fenster und bedeutete mir mit einer Handbewegung, die Zündung abzustellen. Ich gehorchte, und der Bildschirm wurde wieder schwarz. Hinter mir schloss sich die Heckladeklappe der Fähre. Die Schiffsmotoren begannen zu stampfen, der Rumpf ruckte, und mit einem entmutigenden Kratzgeräusch setzten wir uns langsam in Bewegung.
    Ich hockte im kühlen Halbdunkel des nach Diesel und Auspuffgasen stinkenden Laderaums und hatte den Eindruck, als säße ich in der Falle – nicht nur wegen des klaustrophobischen Gefühls unter Deck. Sondern wegen McAra. Ich spürte seine Anwesenheit. Seine verbissenen, geistlosen Obsessionen schienen zu meinen geworden zu sein. Er glich dem plumpen Schwachkopf, von dem man sich auf einer Reise unvorsichtigerweise in ein Gespräch verwickeln ließ und den man dann nicht mehr loswurde. Ich stieg aus, schloss ab und machte mich auf die Suche nach einer Tasse Kaffee. In der Bar auf dem Oberdeck stand ich in der Schlange hinter einem Mann, der die USA Today las. Über seine Schulter sah ich ein Foto, das Lang mit dem amerikanischen Außenminister zeigte. »Lang droht Anklage in Den Haag«, lautete die Überschrift. »Rückendeckung durch Washington.« Lang grinste in die Kamera.
    Ich setzte mich mit meinem Kaffee auf einen Eckplatz und dachte darüber nach, was meine Neugier mir eingebrockt hatte. Erstens hatte ich mich praktisch des Autodiebstahls schuldig gemacht. Zumindest sollte ich anrufen und Bescheid geben, dass ich mir den Wagen nur ausgeliehen hatte. Dann stellte sich die Frage, ob das klug war, was ich gerade tat. Falls ich wirklich McAras letzte Route nachfuhr, dann musste ich der Tatsache ins Auge sehen, dass er die Fahrt nicht überlebt hatte. Woher sollte ich wissen, was mich am Zielort erwartete? Vielleicht sollte ich jemanden einweihen oder, noch besser, jemanden als Zeugen mitnehmen. Vielleicht sollte ich einfach in Woods Hole die Fähre verlassen, dort in einer der Kneipen warten, bis das nächste Schiff zurückfuhr, und die ganze Sache ordentlich planen, anstatt mich so unvorbereitet in ein unbekanntes Abenteuer zu stürzen.
    Komischerweise hatte ich nicht das Gefühl, dass ich mich in Gefahr befand – wahrscheinlich weil die Situation  so vollkommen normal war. Ich schaute in die Gesichter meiner Mitreisenden: mehrheitlich Arbeiter, nach den Jeans und Stiefeln zu urteilen – müde, gelangweilte Männer, die bereits früh am Morgen irgendwelche Waren auf die Insel geliefert hatten oder die nach Amerika fuhren, um dort welche abzuholen. Eine große Welle schlug gegen die Bordwand, und wir schwankten wie ein einziger großer Körper, wie wogendes Seegras auf dem Meeresgrund. Durch das von Salzwasser verschmierte Bullauge sahen die niedrige graue Küstenlinie und das unruhige, eiskalte Meer gänzlich anonym aus. Wir hätten in der Ostsee, im Solent oder im Weißen Meer sein können – an jedem trübseligen Stück Flachküste, wo die Menschen einen Weg finden mussten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
    Als jemand zum Rauchen nach draußen auf Deck ging, wehte eine kalte, nasse Windbö herein. Ich hatte nicht die Absicht, ihm zu folgen. Stattdessen holte ich mir noch einen Kaffee und entspannte mich im sicheren Schoß der feuchtwarmen gelblichen Luft der Bar, bis wir etwa eine halbe Stunde später den Leuchtturm am Nobaska Point passierten und eine Lautsprecherstimme uns aufforderte, zu unseren Wagen zurückzukehren. Das Schiff schwankte stark in der Dünung. Als die Bordwand gegen die Anlegestelle schlug, hallte das dumpfe Dröhnen durch den gesamten Rumpf. Ich befand mich gerade am unteren Ende der Treppe und wurde gegen den Stahlrahmen der Tür geschleudert. Bei ein paar Wagen heulten die Alarmanlagen los, und mein Gefühl der Sicherheit wurde schlagartig von dem panischen Gedanken verdrängt, dass man den Ford aufgebrochen hatte. Ich ging schwankend auf den Wagen zu, der aber einen unversehrten Eindruck machte. Ich öffnete den Koffer, Langs Memoiren waren unangetastet.
    Ich ließ den Motor an, und als ich in den windgepeitschten grauen Regen von Woods Hole rollte, bot mir der Satellitenschirm wieder den vertrauten goldenen Weg an. Es wäre ein Leichtes gewesen, anzuhalten und zum Frühstücken in eine der Kneipen zu gehen, aber stattdessen blieb ich in der Wagenkolonne und fädelte mich in den Verkehr ein – hinaus in den schmutzigen Winter Neuenglands,

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