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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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die Woods Hole Road hinauf bis zur Locust Street und dann über die Hauptstraße aus der Stadt hinaus. Der Tank war halb voll, und der ganze Tag lag vor mir.
    »Kreisverkehr in zweihundert Metern, nehmen Sie die zweite Ausfahrt.«
    Ich folgte der Anweisung und fuhr in den nächsten fünfundvierzig Minuten auf verschiedenen großen Highways in Richtung Norden nach Boston, mehr oder weniger auf dem gleichen Weg, den ich hergekommen war. Damit schien auf jeden Fall eine Frage geklärt zu sein: Was McAra kurz vor seinem Tod auch immer vorgehabt hatte, er war nicht nach New York gefahren, um sich dort mit Rycart zu treffen. Ich fragte mich, was ihn nach Boston gelockt haben könnte. Der Flughafen? Die Bilder, die mir durch den Kopf gingen, kreisten um ein Treffen mit jemandem, der mit dem Flugzeug nach Boston gekommen war – vielleicht aus England. Ich stellte mir vor, wie McAra sein breites Gesicht hoffnungsvoll dem Himmel zuwandte, sah eine eilige Begrüßung in der Ankunftshalle, sah eine Autofahrt zu einem geheimen Treffen. Vielleicht war er aber auch selbst irgendwohin geflogen? Doch gerade als dieses Szenario in meiner Fantasie konkrete Formen annahm, lotste mich meine Reiseleiterin auf den Interstate 95 in Richtung Westen. Trotz meiner schwachen Kenntnisse der Geografie von Massachusetts wusste ich, dass ich mich jetzt vom Logan International Airport und dem Stadtzentrum Bostons wegbewegte.
    Etwa fünfzehn Meilen fuhr ich auf dem breiten Highway  so langsam, wie es nur möglich war. Es hatte aufgehört zu regnen, war aber immer noch dunkel. Das Thermometer zeigte eine Außentemperatur von minus vier Grad Celsius an. Ich erinnere mich an ausgedehnte, mit Seen besprenkelte Waldgebiete, an hell aufleuchtende Büroblocks und Hightech-Firmen, die sich so geschmackvoll in landschaftlich gestaltete Anlagen schmiegten wie Country Clubs oder Friedhöfe. Gerade als mir der Gedanke kam, dass McAra sich vielleicht hatte absetzen wollen und in Richtung kanadischer Grenze unterwegs gewesen war, wies mich die Stimme in meinem Rücken an, den Interstate-Highway bei der nächsten Ausfahrt zu verlassen. Ich wechselte auf eine andere sechsspurige Überlandautobahn, die laut meinem Bildschirm Concord Turnpike hieß.
    Obwohl die Bäume entlang der Straße kahl waren, bildeten sie doch einen Schutzschirm, durch den ich fast nichts erkennen konnte. Mein Schleichtempo machte die Fahrer hinter mir rasend. Ein Riesenlaster nach dem anderen rückte mir donnernd auf den Pelz, blendete auf und ließ seine Fanfarenhupe aufheulen, um dann auszuscheren, zu überholen und mich in einer Sprühwolke aus Dreck zurückzulassen.
    Die Frau auf dem Rücksitz meldete sich wieder zu Wort.
    »Nehmen Sie in zweihundert Metern die nächste Ausfahrt.«
    Ich fuhr die weit geschwungene Kurve hinunter und tauchte in eine waldreiche Stadtrandsiedlung aus großen Häusern, Doppelgaragen, breiten Auffahrten und offenen Rasenflächen ein – eine reiche, aber freundlich wirkende Nachbarschaft, in der die Häuser durch Bäume voneinander abgeschirmt waren und zu Ehren der Soldaten im Einsatz an fast jedem Briefkasten ein gelbes Band flatterte. Ich glaube, die Straße hieß sogar Pleasant Street.
    Ein Schild wies den Weg ins Zentrum von Belmont. Ich fuhr durch Straßen, deren stetig abnehmende Anwohnerzahl auf stetig steigende Immobilienpreise schließen ließ. Ich kam an einem Golfplatz vorbei und bog rechts in einen Wald ab. Vor mir hüpfte ein rotes Eichhörnchen über die Straße und sprang auf ein Schild mit der Aufschrift »Lagerfeuer verboten«, und in diesem Augenblick, scheinbar am Ende der Welt, verkündete mein Schutzengel in ruhigem, endgültigem Ton: »Sie haben Ihr Ziel erreicht.«

DREIZEHN
    »Meine Begeisterung für den Beruf des Ghostwriters mag den Eindruck vermittelt haben, dass man damit mühelos seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Falls dem so ist, sollte ich meine Ausführungen mit einer kleinen Warnung modifizieren.«
    »GHOSTWRITER«
     
     
    Ich fuhr an den Straßenrand, hielt an und stellte den Motor ab. Während ich den Blick über das dicht bewaldete, tropfend nasse Gelände schweifen ließ, verspürte ich ein tiefes Gefühl der Enttäuschung. Ich war mir nicht sicher,  was genau ich überhaupt erwartet hatte – nicht unbedingt Deep Throat in einer Tiefgarage, aber auf jeden Fall mehr als das. Und trotzdem hatte McAra mich überrascht: Er soll ein Mann gewesen sein, der dem Land noch feindseliger gegenüberstand als ich, und dennoch

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