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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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seiner Beobachtungen, den diskreten Vermerk in irgendeiner Akte. Ich spürte, wie Wut und Ärger in mir hochkochten. Vielleicht hätte ich mit einem Augenzwinkern reagieren sollen oder einem verschwörerisch witzigen Bonmot – »Tja, Officer, Sie kennen ja den Spruch: ›Auch auf ‘ner alten Geige kann man noch viele schöne Lieder spielen‹« oder irgendwas Ähnlichem. Stattdessen sagte ich kühl: »Fick dich ins Knie.«
    Ich ging zur Tür hinaus und marschierte in Richtung Weg, der hinauf zur Landstraße führte, stellte aber erst mit einiger Verspätung fest, dass wallender moralischer Groll unglücklicherweise keinen Schutz gegen beißende Graupelschauer bot. Im Bemühen, meine Würde zu wahren, stapfte ich noch einige Meter weiter, drehte dann aber doch bei und duckte mich in den Windschatten des Hauses. Das Regenwasser schoss über die Dachrinne und versickerte im sandigen Boden. Ich zog meine Jacke aus, hielt sie mir über den Kopf und überlegte, wie ich nach Edgartown kommen sollte. Und dann hatte ich die geniale Idee, dass ich mir den ockerfarbenen Ford Escape ausleihen könnte.
    Wie anders – wie vollkommen anders – wäre mein Leben verlaufen, hätte ich mich nicht sofort danach im Laufschritt auf den Weg zur Garage gemacht – Pfützen umkurvend, mit einer Hand die Jacke über den Kopf haltend, mit der anderen meinen kleinen Trolley hinter mir herzerrend. Heute kommt mir das so vor, als hätte ich in einem Kinofilm mitgespielt oder, treffender, in einem dieser Fernsehfilme, in denen reale Verbrechen rekonstruiert werden: Das Opfer läuft ahnungslos, das drohende Unheil von ebenso drohenden Akkorden unterlegt, seinem Schicksal entgegen. Die Garagentür war noch unverschlossen vom Tag zuvor, und der Autoschlüssel steckte im Zündschloss – wer machte sich schon Sorgen um Einbrecher, wenn man, von sechs Leibwächtern bewacht, am Ende eines zwei Meilen langen Feldwegs lebte? Ich wuchtete den Koffer auf den Beifahrersitz, zog die Jacke wieder an und klemmte mich hinters Lenkrad.
    Der Ford war so kalt wie ein Leichenschauhaus und so staubig wie eine alte Dachkammer. Ich fuhr mit der Hand über die ungewohnten Armaturen und betrachtete danach meine grauen Fingerspitzen. Ich selbst besitze kein Auto, als Alleinstehender in London habe ich keine Verwendung dafür, und immer wenn ich mir eines miete, was nur sehr selten vorkommt, war anscheinend wieder eine neue Kollektion an technischen Spielereien erfunden worden. Wenn ich in einer durchschnittlichen Familienkutsche sitze und auf das Armaturenbrett schaue, komme ich mir vor wie im Cockpit eines Jumbos. Der Ford harte rechts neben dem Lenkrad einen rätselhaften Bildschirm, der zum Leben erwachte, als ich den Motor anließ. Regelmäßig aufleuchtende grüne Bogen blinkten himmelwärts zu einer Raumstation, die die Erde umkreiste. Während ich auf den Schirm schaute, änderten die leuchtenden Bogen die Richtung und blinkten auf einmal vom Himmel nach unten. Eine Sekunde später erschienen ein großer roter Pfeil, eine gelbe Straße und eine große blaue Fläche.
    Irgendwo hinter mir sagte eine weibliche Stimme mit amerikanischem Akzent leise, aber gebieterisch: »Fahren Sie auf die nächstgelegene Straße.«
    Wenn ich gewusst hätte, wie, dann hätte ich die Stimme abgestellt. Mir war klar, dass das Motorengeräusch Barry schon bald aus seinem Sessel aufscheuchen und vor die Tür treiben würde. Allein der Gedanke an seinen lüsternen Blick reichte aus, dass ich mich in Bewegung setzte. Ich legte den Rückwärtsgang ein und setzte den Ford aus der Garage. Dann stellte ich den Rückspiegel ein, schaltete Licht und Scheibenwischer an, schob den Ganghebel der Automatik auf D und fuhr auf das Tor zu. Als ich den Wachposten passierte, veränderte sich erfreulicherweise die Szenerie auf dem kleinen Monitor des Satellitennavigationsgeräts – als spielte ich ein Videospiel –, und der rote Pfeil bewegte sich in die Mitte der gelben Straße. In der nächsten Sekunde war ich weg.
    Es hatte etwas seltsam Beruhigendes, so dahinzufahren und all die kleinen, akkurat bezeichneten Wege und Bäche am oberen Rand des Bildschirms auftauchen, abwärts wandern und schließlich unten wieder verschwinden zu sehen. Es vermittelte mir das Gefühl von einer sicheren und gezähmten Welt, in der jedes Detail, etikettiert und vermessen, in einem himmlischen Kontrollraum verwahrt wurde, wo Engel die Reisenden auf Erden sorgsam behüten.
    »In zweihundert Metern rechts abbiegen«,

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