Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
wies mich die weibliche Stimme an.
    »In fünfzig Metern rechts abbiegen.«
    Und dann:
    »Rechts abbiegen.«
    Der einsame Demonstrant saß zusammengekauert in seiner Hütte und las Zeitung. Als er mich an der Abzweigung halten sah, stand er auf und trat hinaus in den Graupel. Mir fiel auf, dass neben seinem Verschlag eine schwarze Chrysler-Limousine stand, und ich fragte mich, warum er sich nicht in den Wagen setzte. Als ich rechts abbog, konnte ich sein hageres graues Gesicht gut erkennen. Er stand starr und ausdruckslos da und nahm nicht mehr Notiz von dem dichten Schneeregen, als wenn er eine geschnitzte Holzfigur vor einem Drugstore gewesen wäre. Ich trat aufs Gaspedal und fuhr in Richtung Edgartown, wobei ich jenen Hauch Abenteuer genoss, den ich immer verspüre, wenn ich in einem fremden Land mit dem Auto unterwegs bin. Meine körperlose Reiseleiterin schwieg für vier, fünf Meilen, und ich hatte sie schon ganz vergessen, als die Stadt in Sicht kam und sie sich wieder zu Wort meldete.
    »In zweihundert Metern links abbiegen.«
    Ich schrak hoch.
    »In fünfzig Metern links abbiegen.«
    Langsam ging sie mir auf die Nerven.
    »Links abbiegen«, wiederholte sie, als wir die Kreuzung erreichten.
    »Entschuldige«, brummte ich und bog rechts in die Hauptstraße ab.
    »Bei der nächsten Gelegenheit bitte wenden.«
    »Jetzt wird’s langsam lächerlich«, sagte ich laut und fuhr rechts ran. Um das Navigationsgerät auszuschalten, drückte ich verschiedene Knöpfe auf dem Display. Auf dem Monitor erschien ein Systemmenü. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie viele Optionen es mir anbot. Eine war »GEBEN SIE EINEN NEUEN ZIELORT EIN«. Eine andere hieß, glaube ich, »KEHREN SIE ZUM AUSGANGSPUNKT ZURÜCK«, und eine dritte, hell aufleuchtende, »LETZTEN ZIELORT ANZEIGEN«.
    Ich schaute die Wörter ein paar Sekunden lang an, wobei mir erst nach und nach die möglichen Konsequenzen dämmerten. Vorsichtig drückte ich auf »AUSWÄHLEN«.
    Der Bildschirm erlosch.
    Ich fluchte, schaltete den Motor aus und suchte nach der Bedienungsanleitung. Ich trotzte sogar dem Schneeregen, ging um den Wagen herum, öffnete die Hecktür und schaute im Kofferraum nach. Nichts. Ich setzte mich wieder ans Steuer, drehte den Zündschlüssel um, und das Navigationssystem ging wieder an. Während es das übliche Startprogramm durchlief und sich mit seinem Mutterschiff in Verbindung setzte, legte ich den Gang ein und fuhr den Hügel hinunter.
    »Bei der nächsten Gelegenheit bitte wenden.«
    Ich seufzte und trommelte mit beiden Zeigefingern aufs Lenkrad. Ich hatte gerade die Walfängerkirche passiert, und vor mir fiel der Hügel steil in Richtung Hafen ab. Durch den schmutzigen Regenschleier konnte ich verschwommen einige weiße Masten erkennen. Ich war nicht weit von meinem Hotel entfernt – von dem Mädchen mit der weißen Spitzenhaube, den Drucken mit den Segelmotiven und Kapitän John Coffin, der mit strengem Blick von der Wand starrte. Es war noch nicht einmal acht. Weit und breit war kein Auto zu sehen, die Gehwege lagen verlassen da. Ich fuhr den Abhang hinunter, vorbei an den leeren Geschäften mit ihren Schildern, die verkündeten, dass man den Winter über geschlossen habe und sich auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr freue.
    »Bei der nächsten Gelegenheit bitte wenden.«
    Zum ersten Mal in meinem Leben begriff ich die wahre Bedeutung des Wortes Vorherbestimmung. Müde setzte ich den Blinker, bremste und bog in eine schmale Straße mit kleinen Häusern ein – wenn ich mich recht erinnere, trug sie den unpassenden Namen Summer Street. Ich hielt an. Der Regen trommelte auf das Dach des Fords, der Scheibenwischer schrappte hin und her. Ein kleiner schwarz-weißer Terrier hockte im Rinnstein. In seinem schlauen Gesicht spiegelte sich äußerste Konzentration. Sein Besitzer, der gegen die Kälte und Nässe so dick vermummt war, dass ich weder Alter noch Geschlecht ausmachen konnte, drehte sich schwerfällig wie ein Astronaut beim Mondspaziergang zu mir um. In einer Hand hielt er ein Schäufelchen, in der anderen ein weißes Plastiksäckchen mit Hundekot in der Form eines Skrotums. Schnell setzte ich rückwärts zurück in die Hauptstraße, riss dann das Lenkrad so scharf herum, dass ich gegen den Randstein prallte, schoss mit durchdrehenden Reifen davon und wieder den Hügel hinauf. Der rote Pfeil schwang wild umher, bis er sich schließlich zufrieden auf die gelbe Route eingependelt hatte.
    Warum genau ich das tat, weiß ich

Weitere Kostenlose Bücher