Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
sie es verhindern konnte. Warum dachte sie über einen Verlierer wie Ben nach, wenn sie doch lieber die kurze Zeit, die ihr mit Coyle noch blieb, genießen sollte?
Marisa schreckte aus ihren Gedanken, als Coyle ihre Hand nahm und mit dem Fuß die Strickleiter stabilisierte. Es war schon nicht lustig gewesen, bei Tageslicht heraufzuklettern, doch jetzt, im Dunkeln, erschien sie ihr noch gefährlicher. „Bist du sicher, dass sie hält?“
Sie konnte Coyles Zähne aufblitzen sehen. „Ja. Komm, es wird dir nichts passieren.“
„Das sagst du so einfach, du kannst ja auch etwas sehen.“
„Würde es dir helfen, wenn ich vor dir runtergehe und dich festhalte, falls du danebentrittst?“
Zweifelnd betrachtete Marisa noch einmal die Leiter und nickte dann. „Ich glaube schon.“
Wortlos schwang Coyle sich in einer eleganten Bewegung auf die schwankende Leiter und stellte sich auf die zweite Stufe. „Komm.“ Wieder hielt er ihr seine Hand hin, die sie dankbar ergriff, bevor sie tief durchatmete und einen Schritt ins Dunkle wagte.
Dank Coyles beruhigender Präsenz schaffte sie es hinunterzuklettern, ohne mehr als einmal abzurutschen. Als sie endlich wieder auf festem Boden stand und sich das Zittern in ihren Beinen langsam legte, atmete sie tief durch. Sie mochte gar nicht daran denken, dass sie nachher auch wieder hinaufkommen musste. „Danke.“
„Ich hatte gehofft, du würdest mir mehr Gelegenheiten geben, dich zu berühren.“ Ein betrübter Ton lag in Coyles Stimme, der Marisa zum Lachen brachte.
„Du bist schlimm, weißt du das?“
„Ja.“ Kein Leugnen, keine Ausreden. Geradeheraus, wie es Coyles Art war, die ihr so gefiel.
„Hatten wir es nicht eilig?“
Coyle schien zu zögern, ein Ausdruck flog über sein Gesicht, den sie nicht deuten konnte. Schließlich nahm er wieder ihre Hand und setzte sich in Bewegung. Eine gute Nachtsicht war hier eindeutig von Vorteil. Jedenfalls deutlich besser, als ständig über jede Unebenheit im Boden zu stolpern und darauf angewiesen zu sein, dass einem jemand die Hand hielt. Obwohl sie nichts dagegen hatte, wenn Coyle das tat, im Gegenteil, es war ein schönes Gefühl, als wären sie ein normales Paar bei einem Waldspaziergang.
„Es ist wirklich schön hier.“
„Deshalb haben wir uns den Platz ausgesucht. Allerdings kann es sein, dass wir bald weiterziehen müssen.“
„Warum?“
„Falls Bowens Entführer jemandem gesagt hat, wo wir zu finden sind, bevor er gestorben ist.“
„Aber ihr habt doch die Leoparden gefangen!“ Marisa sah ihn erschrocken an. „Wie konnte ich das vergessen? Habt ihr etwas herausgefunden?“
Wut war deutlich in Coyles Stimme zu hören, als er antwortete. „Sie reden nicht. Ich weiß nicht, was sie dazu bringt, sich trotz ihrer Situation auf nichts einzulassen, aber ich werde es noch herausfinden. Morgen ist die Schonfrist vorbei.“
Nervös sah Marisa ihn von der Seite her an, aber in der Dunkelheit konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. „Was werdet ihr tun?“
Coyle schwieg so lange, dass sie schon dachte, er würde ihr nicht mehr antworten. „Zumindest werden wir sie nicht kaltblütig umbringen, wie sie es mit uns vorhatten. Irgendwann werden sie Nahrung und Wasser brauchen, genauso wie eine ärztliche Versorgung. Und wir werden ihnen klarmachen, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als mit uns zu reden, wenn sie jemals wieder frei sein wollen.“
„Aber sie haben jemanden ermordet und müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden!“
Coyle presste seine Lippen zusammen. „Ja, das müssten sie, aber wer sollte es tun? Wir können sie schlecht der Polizei übergeben. Wenn herauskommt, was sie sind …“ Er brach ab und schüttelte den Kopf. „Zuallererst muss ich uns schützen, alles andere ist zweitrangig.“
Marisa legte ihre Hand auf seinen Arm. „Das verstehe ich. Es ist nur unfair, wenn sie einfach so davonkommen.“
Ein grimmiges Lächeln spielte um seinen Mund. „Das werden sie nicht, ich verspreche es dir.“ Er legte seine Hand auf ihre Hüfte und zog sie an sich. „Können wir jetzt über etwas anderes reden? Ich möchte, dass du zumindest für ein paar Stunden nicht über so etwas nachdenken musst.“
„Liebend gerne.“ Sie folgte Coyle einen auf beiden Seiten von Farnen umsäumten Pfad entlang, der sich um hoch aufragende Felsen wand. Der Weg verbreiterte sich fast unmerklich, bis er auf einem Plateau endete, von dem aus man einen eindrucksvollen Ausblick auf die Landschaft
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