Ghostwalker 02 - Raven, M: Ghostwalker 02
hatte, mal ganz davon abgesehen, dass die wenigsten Tiere ihren Tierarzt freiwillig an sich heranließen.
Er zuckte zusammen, als Etanas raue Zunge über seinen Hals strich. Ein atemloses Lachen entschlüpfte ihm, als sie ihn noch einmal leckte. Schließlich lehnte er sich zurück und sah der Leopardin in die Augen. „Du knabberst aber nicht gleich an mir, oder?“ Etana entblößte ihre Reißzähne, es sah beinahe aus wie ein Grinsen. Oder als könnte sie sich durchaus vorstellen, ihn zu probieren. „Aber wahrscheinlich schmecke ich dir gar nicht, so ein altes Stück Menschenfleisch.“
Wie um ihm zu widersprechen, ließ sie erneut die Zunge herausschnellen und erwischte ihn mitten im Gesicht. Überrascht kippte Ryan nach hinten um, als er sich rasch zurücklehnte. Während er noch dabei war, sein Gesicht mit seinem T-Shirt zu trocknen, baute Etana sich über ihm auf. Ryans Mund wurde trocken, als er plötzlich unter der Raubkatze lag und sie auf ihn heruntersah. Sie müsste nur einmal mit ihrem gewaltigen Gebiss zubeißen, und es wäre aus mit ihm. Vielleicht war die Entscheidung, sie herauszulassen, doch nicht so klug gewesen. Wer wusste schon, ob sie nicht vielleicht Menschen generell hasste, nach dem, was man ihr vermutlich angetan hatte. Nur weil er glaubte, dass sie ihn verstand und es zwischen ihnen eine Verbindung gab, musste sie das nicht genauso sehen.
Etanas Nasenflügel blähten sich, während sie auf ihn herabsah. Ihre Augen weiteten sich, und sie zog sich ebenso schnell zurück, wie sie sich über ihn geschoben hatte. Als Ryan sich aufrichtete, sah er, wie sie in ihren Käfig zurückkehrte und zu fressen begann, als wäre nichts vorgefallen. Verwirrt strich er über seine Haare, während er Etana beobachtete. Was war eben passiert? Es war wohl wirklich besser, wenn er nach Hause fuhr und sich ein paar ordentliche Stunden Schlaf gönnte. Vielleicht fiel es ihm auch leichter, über die Leopardin nachzudenken, wenn er nicht in ihrer Nähe war.
Langsam stand er auf und beugte sich zur Käfigtür hinunter. „Ich fahre jetzt. Wir sehen uns morgen früh wieder.“ Etana hob ihren Kopf und sah ihn an. Ryan schloss die Käfigtür und schob den Riegel vor. „Schlaf schön.“ Als die Leopardin sich nur wieder ihrem Fressen zuwandte, zuckte Ryan mit den Schultern und ging zur Tür. Was hatte er erwartet – dass sie ihm antwortete? Wohl kaum. Gerade als er seine Hand auf die Klinke legte, glaubte er ein Geräusch zu hören. Er drehte sich noch einmal zum Käfig um. Etana war zum Gitter gekommen und sah ihn durch die Stäbe hindurch an. Mit einem tiefen Seufzer kehrte er noch einmal zurück. „Du machst es mir wirklich nicht leicht, was?“ Er steckte die Finger durch die Stäbe und rieb unter ihrem Kinn. „Es tut mir leid, dich hier allein zu lassen, aber ich muss fit sein, wenn ich weiterhin die kranken Tiere gut versorgen möchte. Und die Liege ist auf Dauer kein Ersatz für ein richtiges Bett.“ Vor allem wenn man nicht mehr sechzehn war. Ryan richtete sich wieder auf. „Wahrscheinlich bist du auch froh, wenn du mal Ruhe vor mir hast. Morgen nerve ich dich dann wieder wie gehabt.“
Bevor er es sich doch noch anders überlegen konnte, verließ er rasch den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Es gab immer wieder Patienten, die seine besondere Aufmerksamkeit erforderten oder die er ins Herz schloss, aber er hatte noch nie einen solchen Drang gespürt, ohne jeden medizinischen Grund bei einem Tier zu bleiben – und zwar drei Nächte hintereinander. Besonders nachdem er bereits wegen des vorherigen Notfalls einige Nächte in der Klinik verbracht hatte. Sonya und Lynn hatten ausnahmsweise recht, eine Auszeit war dringend nötig. Entschlossen holte Ryan seinen Rucksack und seine Jacke aus dem Spind und verließ die Klinik.
Angespannt rutschte Finn auf dem Holzstuhl herum, während er im neuen Ratsgebäude auf Kearne und die anderen wartete. Ein hochtrabender Begriff, eigentlich war es nur eine weitere – bisher noch sehr spärlich ausgestattete – Hütte, die versteckt zwischen fast undurchdringlicher Vegetation am Rand des Lagers stand. Es würde keine offizielle Ratssitzung sein, denn dafür hätten die älteren Mitglieder aus der Stadt zum Lager kommen müssen, sondern eine kurzfristig von Kearne einberufene, die auch diejenigen Wandler einschloss, die für den Schutz des Lagers verantwortlich waren. Finn runzelte die Stirn. Was konnte geschehen sein, dass eine solche Sitzung für notwendig
Weitere Kostenlose Bücher