Ghostwalker 02 - Raven, M: Ghostwalker 02
erachtet wurde? Vor allem hätte Kearne ihn vorher informieren müssen, wenn irgendetwas nicht stimmte, schließlich war er ausführendes Ratsmitglied und musste daher stets auf dem neuesten Stand der Entwicklungen sein.
Abrupt stand er auf und ging zum Fenster, das bei Sitzungen von einem Vorhang verdeckt war. Finn schob ihn beiseite und sah in die beginnende Dunkelheit hinaus. Zugegebenermaßen war das nicht der einzige Grund für ihn, unruhig zu sein, obwohl unendlich lange Ratssitzungen ihm überhaupt nicht lagen. Nein, er fühlte sich schon so, seit Jamila in seiner Hütte gewesen war. Selbst die kalte Dusche hatte nicht geholfen, wieder Ordnung in seinen Kopf zu bringen. Oder seinem Körper klarzumachen, dass die Leopardin nicht für ihn gedacht war. Ihr Geruch ging ihm nicht aus dem Sinn, genauso wenig wie ihr Blick, unsicher und gleichzeitig erregt. Gott, er wurde schon wieder steif. Wie kam es, dass Jamila eine solche Wirkung auf ihn hatte? Irgendetwas an ihr rührte ihn an und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, seit sie ihm den ersten Blick zugeworfen hatte.
Finn drehte sich um, als die Tür auf der anderen Seite des Raumes aufging. Leise trat Torik ein, dicht gefolgt von Kell. Optisch völlig gegensätzlich waren sie ausgezeichnete Wächter und verstanden sich meist auch ohne Worte. Bevor Finn zum Ratsmitglied aufgestiegen war, hatte er gerne mit ihnen Dienst gehabt, doch jetzt kam er nur noch selten dazu, das Gebiet um das Lager zu durchstreifen.
Er nickte den beiden zu. „Kommt Keira auch?“
Kell schüttelte den Kopf. „Sie hat Dienst.“
Irgendwie schaffte seine Schwester es jedes Mal, während Sitzungen Dienst zu haben. Er hatte sich schon oft gefragt, wie es ihr gelang. Vermutlich tauschte sie mit einem der anderen Wächter, wenn sie davon Wind bekam. Finn seufzte innerlich auf. Vielleicht würde es Keira guttun, sich mit die Gruppe betreffenden Themen auseinandersetzen zu müssen oder auch mehr Verantwortung zu übernehmen. Bisher hatte sie sich eher durchs Leben treiben lassen und offensichtlich keinen richtigen Halt gefunden, nichts, das sie außerhalb ihrer Aufgabe als Wächterin wirklich interessierte. Außer Coyle, dessen Beziehung zu Marisa Keiras Laune in den letzten Monaten extrem beeinträchtigt hatte. „Wer von euch hat mit ihr getauscht?“
Torik und Kell sahen sich an und hoben nur die Schultern.
„Ihr wisst, dass ihr meiner Schwester damit nicht helft.“
Toriks Miene blieb regungslos. „Wer sagt, dass wir das versuchen? Vielleicht finden wir Sitzungen so interessant, dass wir unbedingt dabei sein wollen.“
Finn verzog den Mund. „Ja, sicher. Genauso wie ich.“
Kell betrachtete ihn ernst. „Du hättest den Ratssitz nicht übernehmen müssen, es hat dich niemand gezwungen.“
Doch, das hatte er tun müssen, Coyle hatte ihn darum gebeten. Und bei der Vorstellung, dass jemand anders dort sitzen und die Gruppe in den Untergang führen könnte, war ihm klar geworden, dass er nur etwas bewirken konnte, wenn er die Verantwortung selbst übernahm. Kearne war gut, wenn es um Verwaltungsaufgaben ging, aber von Sicherheitsthemen hatte er keine Ahnung und sich diesbezüglich auf Coyle verlassen. Oder auf Finn, wenn Coyle unterwegs war. „In unserer derzeitigen Situation hielt ich es für wichtig, den Übergang möglichst reibungslos zu gestalten. Wenn geklärt ist, ob wir in Sicherheit sind, werde ich den Sitz an jemand anderen weitergeben, dem eine solche Aufgabe mehr liegt als mir.“
„Und wer soll das sein? Coyle ist weg, und die anderen sind entweder nicht daran interessiert oder zu schwach.“
Finn zwang sich zu einem Grinsen. „Was ist mit euch beiden?“
„Auf keinen Fall.“
„Absolut nicht.“
Die spontanen Antworten entlockten ihm ein echtes Lachen. „Dachte ich es mir doch.“ Er wurde wieder ernst. „Aber das bedeutet auch, dass wir bald ein ernstes Problem haben werden. Bei den jüngeren Männern sehe ich auch noch keinen möglichen Kandidaten, und wir werden immer weniger. Irgendwann werden wir nicht mehr in der Lage sein, einen funktionierenden Rat zu stellen.“ Er hob den Kopf und lauschte. „Das wird Kearne sein.“
Die drei Männer schwiegen, bis das zweite im Lager lebende Ratsmitglied die Hütte betrat. Wenigstens hatte Kearne diesmal nicht den Anzug angezogen, den er bei richtigen Sitzungen trug. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war er einer der Ältesten im Lager, wahrscheinlich musste er in spätestens zehn Jahren auch in die Stadt gehen,
Weitere Kostenlose Bücher