Ghostwalker 02 - Raven, M: Ghostwalker 02
sich. Trotzdem spürte sie, dass sich etwas verändert hatte. War Ryan aufgewacht und suchte sie? Der Gedanke versetzte ihr einen scharfen Stich. Wie gerne wäre sie hier bei Ryan geblieben, doch es ging nicht. Sie musste weiter, auch wenn ihr Bein noch nicht völlig verheilt war, sie konnte ihn nicht länger durch ihre Anwesenheit in Gefahr bringen. Wahrscheinlich hätte sie ihn nie küssen, ihn nie berühren dürfen, doch sie konnte sich nicht dazu durchringen zu bedauern, dass sie ihn geliebt hatte. Sie würde die Erinnerung an diese eine Nacht mitnehmen, wohin es sie auch verschlug.
„Geh, bevor du es nicht mehr kannst.“ Nur sie selbst konnte ihr Flüstern hören, und es reichte, um sie wieder in Bewegung zu setzen.
Kainda überprüfte ein letztes Mal, ob der Beutel mit ihren wenigen Habseligkeiten noch sicher über ihrer Schulter hing, bevor sie ihren Fuß in eine Masche des Drahtzauns setzte. Sie stemmte sich hoch und spürte, wie ihre Rippen und ihr Oberschenkel dumpf zu pochen begannen. Kainda biss die Zähne zusammen und kletterte höher. Vermutlich musste sie sich tatsächlich erst einmal irgendwo verkriechen und ihre Verletzungen weiter auskurieren, bevor sie sich wieder auf die Suche machte. Sollten die Verfolger jemals wieder ihre Spur finden, musste sie stark genug sein, um ihnen entweder zu entkommen oder sie auszuschalten. Entschlossen hob sie ihr verletztes Bein über den Zaun und ignorierte den Schmerz.
Ein letztes Mal sah sie zum Haus zurück, in dem sie sich so wohl gefühlt hatte, obwohl sie nur kurze Zeit dort gewesen war. Kainda runzelte die Stirn, als sie wieder das Gefühl hatte, dass irgendetwas nicht stimmte. Aber das konnte nicht sein, alles war ruhig und …
„Etana.“
Ihr Name klang so nah, dass sie sich umdrehte, um sicherzustellen, dass Ryan nicht hinter ihr stand. Doch er war nicht da, sie konnte ihn gar nicht gehört haben. Trotzdem war da dieses drängende Gefühl, dass sie zurückmusste, sofort. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Ryan sie dringend brauchte. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, kletterte Kainda zurück und ließ ihre Tasche auf den Boden fallen. Etwas brachte sie dazu, sich hastig die Kleidung vom Leib zu reißen und sich innerhalb von Sekunden zu verwandeln. Sie rannte zum Haus zurück, und je näher sie Ryan kam, desto sicherer wusste sie, dass gerade etwas Furchtbares passierte. O Gott, Ryan, bitte nicht! Vergessen waren ihre Verletzungen, sie spürte nichts mehr außer dem rasenden Klopfen ihres Herzens und der lähmenden Angst, zu spät zu kommen.
Trotz des drängenden Verlangens, ins Haus zu stürmen, zwang sie sich, die Terrassentür leise aufzustoßen und sich Schritt für Schritt ins Innere vorzuwagen. Dumpfe Laute drangen aus der Küche, und sie nahm einen Geruch wahr, der sie erstarren ließ: Zigarettenrauch, gemischt mit billigem Aftershave. O Gott, sie war zu spät geflohen, ihre Verfolger hatten sie bereits aufgespürt! Wo war Ryan? Die Antwort fand sich, als ihr weitere Gerüche entgegenströmten: Ryan und … Blut. Nein! Laut gellte der Schrei durch ihren Kopf und mit ihm die sichere Gewissheit, zu spät zu kommen. Die Leopardin in ihr gewann die Übermacht, ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit rannte sie los und warf sich gegen die Küchentür. Sie schwang auf und traf den Mann, der sich über Ryan beugte, im Kreuz. Mit einem Fluch ging er zu Boden, was Kainda sofort ausnutzte.
Mit einem lauten Fauchen stürzte sie sich auf ihn, ihre Krallen gruben sich tief in seine Brust. Ein Schmerzenslaut kam über seine Lippen, doch Kainda hörte ihn kaum. Vor ihren Augen standen nur Ryans blutverschmierter, lebloser Körper und die Tatsache, dass dieser Kerl dafür verantwortlich war. Sie spürte die Gegenwehr kaum, weder die Schläge und Tritte noch die scharfe Klinge, die in ihre Seite drang. Alles, was für sie zählte, war, dafür zu sorgen, dass dieser Mistkerl Ryan nichts mehr tun konnte. In ihrer Leopardenform war sie dem Verbrecher trotz ihrer kaum verheilten Verletzungen deutlich überlegen, und es dauerte nicht lange, bis er sich nicht mehr bewegte. Zuerst befürchtete sie, dass sie ihn in ihrer Wut getötet hatte, doch dann spürte sie den Puls an seinem Hals. Gut so, er sollte sich vor Gericht für seine Tat verantworten. Vielmehr Taten, denn er hatte ja auch in die Klinik eingebrochen und Ryan dabei betäubt.
Ryan! Kainda warf sich so schnell herum, dass sie auf den glatten Fliesen ausrutschte und beinahe auf Ryan landete.
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