Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
kaum und ist sehr deprimiert. Nachdem sie geduscht hatte, fühlte sie sich ein wenig besser. Reefs Lehrer kam, um mit ihr zu plaudern. Wir hatten heute fünfzehn Zentimeter Neuschnee und Schwierigkeiten, unseren Berg hinaufzukommen.
16. Januar 2010
Heute ging es Kate ein ganz klein wenig besser. Sie lächelte und hatte Spaß, als ihr Bruder sie besuchte. Sie liegt jetzt auf der Berrow Station im Weston General Hospital und bekommt angefeuchteten Sauerstoff, der ihr gutzutun scheint. Reef und Finn kamen auf einen Kurzbesuch und eine Umarmung vorbei, was sie aufmunterte. Sie freut sich über Textnachrichten, doch das Beantworten fällt ihr schwer, weil ihr rechter Arm voller Kanülen steckt. Sie hat ein oder zwei Bissen gegessen und eine Tasse Tee getrunken, aber sie kann nur ganz schwer atmen und sprechen und hat fast immer die Sauerstoffmaske auf. Für ein Foto mit den Jungs hat sie sie abgenommen – die Freuden einer Mutter!
19. Januar 2010
Kate wurde in ein Einzelzimmer verlegt und hat es dort bequemer. Heute Nachmittag wurde sie etwas heiterer und freut sich, die Jungs zu sehen, die heute wieder in der Schule und im Kindergarten waren. Sie muss zwei Wochen lang je zwei Chemotabletten nehmen, dann folgt eine Woche Pause. Ihre Prognose sieht schlecht aus. Sollte man die Lungendrainage später entfernen können, wird man sie womöglich in ein Hospiz verlegen. Den Jungs geht’s gut – wir sind völlig durch den Wind.
20. Januar 2010
Leider bin ich der Überbringer schlechter Nachrichten – wir haben Katie heute Morgen um 5:15 Uhr verloren. Singe, Martin und ich waren bei ihr, und sie hat die Jungs noch mal gesehen, gestern Abend.
Sie ist friedlich eingeschlafen, und wir wussten, dass sie keine Kraft mehr hatte, länger zu kämpfen.
Das Leben kann sehr grausam sein. Sie war erst achtunddreißig.
Als ich zu dieser letzten Zeile kam, liefen meine Tränen ungehindert. Vermutlich hatte ich zwei oder drei Stunden gelesen und mich in Erinnerungen verloren und dabei völlig die Zeit vergessen. Obwohl alles so unerträglich traurig war und ich das schlimme Ende kannte, hatte ich doch nicht aufhören können, auch noch den nächsten Eintrag zu lesen und dann den nächsten.
Ich war erstaunt über die medizinischen Details, die Christine festgehalten hatte. Es war schockierend, sie schwarz auf weiß zu lesen und zu verfolgen, wie schnell es mit Kate bergab gegangen war. Noch in ihren letzten Wochen hatte ich fest daran geglaubt, dass sie es schaffen würde, ganz ehrlich. Sie zu verlieren überstieg einfach meine Vorstellungskraft. Als ich nun die nackten Tatsachen über ihren immer schlechter werdenden Gesundheitszustand las, wurde mir bewusst, wie verzweifelt ich an Kates Überleben geglaubt hatte. Weder ließ ich mich von diesen Fakten beirren, noch mir meine von Liebe erfüllte blinde Hoffnung nehmen.
Ich war Christine dankbar für ihr Tagebuch, denn ich hätte niemals so viele spezielle Informationen behalten, außerdem war ich gerührt von einigen der dadurch geweckten Erinnerungen an unser Alltagsleben. Denn es ist schon erstaunlich zu sehen, dass das ganz normale Leben weiterging, während der Krebs Amok lief. Mit einem Lächeln bewunderte ich, dass Christine auch während der schweren Zeit ihren Humor nie verloren hatte. So hatte sie mir zum Beispiel einmal einen kleinen Seitenhieb hinsichtlich meiner Größe und meines Gewichts verpasst, indem sie mich einen »flinken Treppenläufer« nannte, da ich so oft rauf und runter gerannt war, um mich um Kate während ihrer letzten Tage zu kümmern. Die Behandlung wurde zwischen Schule, Arbeit, Tagesausflüge und normales Familienleben eingeschoben – jedenfalls war das am Anfang so. Doch irgendwann, ich könnte den genauen Zeitpunkt nicht benennen, mussten Kate, die Jungs und ich uns dem Krebs anpassen, als er wuchs und streute und außer Kontrolle geriet.
Natürlich stellte ich auch fest, dass sehr viele Elemente in diesem Tagebuch fehlten und es eine von Christines Sicht der Ereignisse gefärbte Darstellung war, aber genau das gefiel mir. So erwähnte sie beispielsweise nie Kates Liste, denn dies war etwas, woran Kate und ich allein arbeiteten, und ich bin froh, dass einige Erinnerungen ganz unverhohlen uns und nur uns allein gehören.
Während der Krankheiten von Reef und Kate ging unvermeidlich ein Teil der Privatheit und der Kontrolle über unser Familienleben verloren. Wir benötigten so viel Hilfe, dass wir unsere Türen weit öffnen mussten. Die Familie
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