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Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Titel: Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: St John Greene
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mich ausloggte, warf ich einen Blick auf mein Facebook-Profil, das ich lange vor Kates Krankheit erstellt hatte. Unter der Rubrik »Lieblingszitate« hatte ich in Fettschrift geschrieben:
ARBEITE HART UND HAB JEDE MENGE SPASS DABEI!!
SPÜR DIE ANGST UND TU ES TROTZDEM!
WENN DU NICHTS RISKIERST, BIST DU FEHL AM PLATZ!
DAS LEBEN IST ZU KURZ, UND MITNEHMEN KANNST DU ES NICHT.
    Ich ließ mir die Worte durch den Kopf gehen, während ich mich ausloggte. Kate konnte mich nicht mitnehmen. Ihr Leben war zu kurz, aber ich war noch immer hier, ohne sie. Ich war so froh, dass wir das Leben in vollen Zügen ausgekostet hatten, und Kates Tod bestärkte mich noch in meinem Vorsatz, hart zu arbeiten und jede Menge Spaß dabei zu haben. Und diese von uns beiden geteilten Philosophien wollte ich auch an unsere Jungs weitergeben.
    Nachdem das Summen des Computers aufgehört hatte, ließ ich meinen Blick durch das stille Schlafzimmer schweifen und überlegte, was ich als Nächstes angehen sollte. Im ganzen Haus war es gespenstisch ruhig, als wäre es bereits Mitternacht, doch die Uhr sagte mir, dass es gerade mal neun war. Was sollte ich tun? Die Vorstellung, nach unten zu gehen und allein zu essen, sagte mir nicht zu, obwohl der Kühlschrank noch immer vor hausgemachten Aufläufen und Apfelstreuselkuchen überquoll.
    Eine kleine hübsche Schatulle auf meinem Nachtkästchen zog mich an. Darin lagen Kates Ehering, Verlobungsring und Eternity-Ring, und als ich den Deckel öffnete, sah ich sie ineinander verschlungen wie ein vollständiges Puzzle vor mir. So hatte ich auch empfunden, als ich einige Jahre nach unserer Hochzeit und viele Jahre nach unserer Verlobung Kate den Eternity-Ring an den Finger gesteckt hatte. Er war die Krönung und Symbol meiner unsterblichen Liebe »bis ans Ende der Welt«. Als ich ihn ihr geschenkt hatte, hatte ich mir dabei unsere Zukunft vorgestellt, die gar nicht anders als perfekt sein konnte. Ich sah uns gemeinsam alt und grau werden und in unseren Schaukelstühlen strickend und lesend nebeneinandersitzen. Das hatte ich mir fraglos erträumt und ausgemalt.
    Mein eigener Ehering, das Gegenstück zu dem von Kate, war zu eng geworden und schnitt in meine Haut ein. Ich hatte in meinen vierziger Jahren stark zugenommen. Dafür machte ich das Krankenhausessen verantwortlich, denn seit nunmehr fünf Jahren nahm ich meine Mahlzeiten hauptsächlich dort ein. Als Reef krank war, trank ich literweise Red Bull, um in den langen Kliniknächten nicht einzuschlafen, wenn ich über ihn wachte. Sobald ich nämlich einschlief, warf er sich herum und verhedderte sich in all den Schläuchen, an die sein Körper angeschlossen war, und ich war in ständiger Sorge, er könnte sich einen davon herausziehen.
    Nun sage ich mir schon seit einer Ewigkeit, dass ich entweder abnehmen oder mir meinen Ehering weiten lassen muss, doch jetzt gab es natürlich auch noch eine andere Möglichkeit. Ich konnte den Ring abnehmen. Und in diesem Moment fand ich, dass es das Richtige war. Ich musste mich den Tatsachen stellen: Ich war kein verheirateter Mann mehr. Ich hatte Kate mit dem Versprechen »bis dass der Tod uns scheidet« geheiratet, und dieser Zeitpunkt war nun gekommen. Ich zog den Ring vom Finger, so weh es tat, dann legte ich ihn neben die drei Ringe von Kate und griff instinktiv nach dem schwarzen Haarband, das ich aus ihrer Handtasche geholt hatte und immer noch auf dem Bettüberwurf lag.
    Mit Kates Schweizer Armeemesser schnitt ich einen feinen Liebesknoten in das dicke Band und streifte es über meinen Ringfinger. Es passte sich perfekt der glatten Furche an, die mein Ehering hinterlassen hatte, und ich begann zu weinen. Da Kates Ringe viel zu kostbar waren, um sie in einer Schmuckschatulle herumliegen zu lassen, beschloss ich, sie alle Kates Mutter zu geben, damit sie diese in ihrem Safe verwahrte.
    Entscheidungen zu treffen und Dinge auszusortieren gab mir das Gefühl, Fortschritte zu machen, allerdings merkte ich dabei auch, dass ich auf dieses Nachspiel ganz und gar nicht vorbereitet war. Ich hatte nicht glauben wollen, dass Kate im Sterben lag, selbst dann nicht, als sie immer mehr dahinschwand und ihre Liste schrieb. Als die Wahrheit nicht länger geleugnet werden konnte, hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, was sie zurücklassen würde, denn ich war ganz darauf konzentriert, wen: die kleinen Jungs, die sie nicht länger großziehen konnte, und natürlich mich selbst.
    Erst jetzt dämmerte mir, was für eine große

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