Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
vorstellte, wie wir drei in einem schönen neuen Boot übers Meer flitzten. Dabei machte sie, wie ich fand, einen sehr ruhigen und friedlichen Eindruck, doch als sie ihre Augen wieder öffnete, waren sie feucht.
»Ich verspreche es dir«, sagte ich. »Ich werde auf die Jungs gut aufpassen und ihnen beibringen, wie Mummy das Wasser zu lieben.«
Wir lagen einander weinend in den Armen.
Als ich ein Fotoalbum nach dem anderen zuklappte und mich wieder in die Gegenwart zurückholte, zurück auf den Fußboden am Fuße meines Bettes, kamen mir wieder die Tränen.
Der 22. März war Kates Geburtstag. Sie wäre neununddreißig Jahre alt geworden. Ich sah diesem Tag mit sehr gemischten Gefühlen entgegen, seit ihrem Tod hatte ich mich bereits mit dem Valentinstag und dem Muttertag befassen müssen.
Der Valentinstag war grauenhaft gewesen. Ich glaube, es war das erste Mal, seit ich etwa zehn Jahre alt war, dass ich keine Karte bekam. Kate und ich gingen immer essen. Ich kaufte ihr Blumen, wir tranken Champagner, und dann durfte ich mich an ihr schadlos halten. Dieses Jahr versuchte ich es einfach zu verdrängen. Es war ein leeres Datum in meinem Terminkalender, und ich redete mir gut zu, dass es für mich keine Bedeutung hatte, und das stimmte ja auch. Doch ich weiß noch gut, dass ich, als die Jungs am Abend dieses Tages im Bett waren, den Wasserkessel aufsetzte, um mir Tee zu machen, und mich währenddessen zur Ablenkung durch die Fernsehkanäle zappte. In rascher Folge sah ich drei Bilder von sich küssenden Paaren: das eine in einer Dokumentation aus dem wirklichen Leben, ein anderes in einer Soap und dann noch eins in einem schmalzigen Film. Ich schaltete den Fernseher aus, ging zurück in die Küche, wo der Dampf bereits die Fliesen beschlug, und fing an zu weinen. Eine Zeitlang starrte ich die Tropfen an, die an der Wand abperlten, bis ich mich wieder erinnerte, dass ich mir Tee aufbrühen wollte. Als ich dann aber keine Teebeutel fand, setzte ich mich auf den Boden und heulte mir stattdessen die Augen aus dem Kopf.
Am Muttertag, der immer am vierten Fastensonntag gefeiert wurde und in diesem Jahr auf den 14. März gefallen war, hatte ich versucht, mich auf alle meine »Mütter« zu konzentrieren – meine Mutter, meine Stiefmutter, Kates Mutter. Jede bekam von mir eine Karte, ich unterhielt mich mit ihnen allen, und Martin und Christine nahmen Reef und Finn mit zu Kates Grab, auf das sie eine Rose legen durften. Die Lehrer in der Schule kümmerten sich einfühlsam darum, dass die Jungs trotzdem Karten basteln konnten, die sie dann an »Nanny«, also ihre Großmutter, anstatt an »Mummy« adressierten. Doch wie am Valentinstag war ich froh, als der Tag vorüber war. Reef und Finn hatten keine Mummy mehr, und dieser Tag diente nur dazu, mir das wieder in Erinnerung zu rufen.
Kates Geburtstag verlief jedoch anders. Sie hatte mich ausdrücklich gebeten, »Geburtstage groß zu feiern«, also beschloss ich, ihren davon nicht auszunehmen, egal ob sie das damit gemeint hatte oder nicht. Ich war bereits seit mehreren Wochen auf der Suche nach einem Boot unterwegs gewesen und hatte zu meiner großen Freude eins entdeckt. Als Abholtag wählte ich Kates Geburtstag, der auf einen Montag fiel. Wie das Glück es wollte, wurden an diesem Tag auch Gelder aus Kates Nachlass freigegeben, sodass ich nicht nur die Hypothek zurückzahlen, sondern auch noch das Boot kaufen konnte.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie perfekt dieses Timing ist«, erzählte ich Mark, dem Chef von Ribcraft in Yeovil, als er mich anrief, um mir zu sagen, dass das Boot abgeholt werden konnte. Er hatte Kate persönlich gekannt, weil sie bei seinen Mitarbeitern ihren Fortgeschrittenenkurs für Motorbootfahren gemacht hatte. Als einzige Frau im Kurs, der ansonsten aus einer Gruppe von Fischern, älteren Rettungsschwimmern und fortgeschrittenen Segellehrern wie mir bestand, hatte sie ziemlich Eindruck gemacht.
Ich habe diesen Kurs noch gut in Erinnerung. An dem Abend, als wir den Hafen von Weymouth verließen, blies eine steife Brise und ließ bis zu zwei Meter hohe Wellen an Deck unseres Fischerboots krachen. Kate hatte ihren Spaß daran, aber einige der anderen Kandidaten kamen mit den Umständen nicht so gut zurecht, sodass wir wieder an Land gehen mussten. Am folgenden Abend war das Meer glatt, ruhig und kristallklar. »Das gefällt mir auch«, sagte Kate. »Ich komme mir vor wie bei einem richtigen Abenteuer!« Ich wusste genau, was sie meinte. Nach
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