Gib mir deine Seele
bleibst, wird noch jemand seinen Mantel an dir aufhängen.« Nicholas schob einen Stuhl zurecht. »Komm schon, sie gehört dir. Daran ändert sich nichts.«
»Ich weiß«, knurrte er in der Sprache, die nur sie beide verstanden, zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Aber es gäbe eine Menge Dinge, die ich lieber tun würde, als ihr beim Flirten zuzusehen.«
Nicholas lachte und schenkte ihm von dem Rotwein ein. »Wie ich dich kenne, am besten gleich hier auf dem Tisch.«
Nun musste auch Constantin lachen. »Du übertreibst. Das wären dann doch zu viele Zuschauer.«
»Früher warst du nicht so zimperlich.« Nicholas klang, als bedauere er diese Entwicklung.
»Pauline ist nicht wie die anderen.« Zum ersten Mal sprach er es aus.
»Du hast recht. Sie macht es einem leicht, das Herz zu verlieren.«
»Über wen sprecht ihr?« Henry ließ sich neben Nicholas auf einen Stuhl sinken.
Er küsste sie und sagte leichthin: »Ich spreche von dir, von wem denn sonst?«
»Schmeichler!« Doch sie gab sich mit der Antwort zufrieden.
Constantin, der ebenso wie Pauline seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, genoss die Speisen und den erstaunlich guten Tafelwein. Allmählich entspannte er sich und brachte es sogar fertig, Pauline ein warmes Lächeln zu schenken, wann immer ihr Blick den seinen suchte. Es war ja nicht ihre Schuld, dass sie zwischen zwei Kerlen saß, die er heute am liebsten zum Mond geschossen hätte.
Julian entging der geheime Austausch zwischen ihnen nicht. Er sah Constantin an und wollte aufstehen, doch Pauline legte ihm die Hand auf den Arm, erhob sich selbst von ihrem Stuhl und sah kurz in die Runde. »Als kleines Dankeschön für diese Einladung, lieber Julian, und für deine wunderbare musikalische Begleitung beim Wettbewerb der Jungen Stimmen …« Verlegen schob sie sich eine vorwitzige Locke aus dem Gesicht und sah Constantin an, als hoffte sie auf seine Zustimmung.
Gespannt darauf, was sie zu sagen hatten, lächelte er ihr aufmunternd zu, obwohl er ahnte, dass ihm nicht gefallen würde, was sie vorhatte.
»Ich möchte gern etwas für Julian singen«, fuhr sie erleichtert fort und wandte sich an den neben ihr Sitzenden. »Das geht allerdings nur, wenn du wieder für mich spielst. Dafür darfst du dir ein Lied wünschen, einverstanden?«
Bereitwillig folgte Julian ihr ans Klavier. Als er ihr etwas ins Ohr flüsterte, sah sie ihn erstaunt an und schüttelte den Kopf. Doch er zeigte sein jungenhaftes Lächeln, mit dem er zuverlässig die Herzen seiner Verehrerinnen zu berühren verstand.
Auch Constantin konnte sich nicht entziehen und lächelte unwillkürlich mit dem charmanten Teufel. Als es ihm bewusst wurde, trank er schnell einen großen Schluck Wein. Fast hätte er sich daran verschluckt, als Julian die »Habanera« anstimmte, die vielleicht bekannteste und beliebteste Arie aus Georges Bizets Carmen .
Eigentlich war es nicht ungewöhnlich, dass Pauline nach dem heutigen Erfolg ausgerechnet etwas aus dieser Oper für ihn singen sollte. Die Sache hatte nur einen Haken: Die sinnlich-unverschämte Partie wurde üblicherweise von Mezzosopranistinnen gesungen. Pauline aber war Sopranistin.
Am liebsten wäre er eingeschritten, doch Nicholas legte ihm unauffällig die Hand auf den Arm. »Warte ab. Willst du nicht wissen, was passiert?«
Alle Tischgespräche waren verstummt. Jemand zischte: »Gott sei Dank ist die DeNero nicht hier.«
Erstaunlich unbeeindruckt von der gespannten Atmosphäre atmete Pauline tief ein, nickte Julian zu und sang dann in einem nie gehörten rauchigen Timbre die berühmten Strophen.
»L ’amour est un oiseau rebelle …
Liebe ist ein wilder Vogel.
Ihn zu zähmen, das ist schwer.
Ganz umsonst wirst du ihn rufen,
wenn er nicht will, kommt er nicht her …«
»Wahnsinn!«, sagte Henry am Ende in die Stille hinein.
David, der sich wohlweislich am anderen Ende der Tafel einen Platz gesucht hatte, sprang auf und applaudierte. » Da cap o «, rief er. »Zugabe!« Andere stimmten ein. Begeistert wollte er nach vorn stürmen, doch als er an Henry vorbeikam, hielt sie ihn an seiner Jacke fest, und er strauchelte. Das Gelächter derjenigen, die diese kleine Szene beobachtet hatten, brachte ihn offensichtlich zu Verstand. Still kehrte er um, setzte sich wieder und griff mit verlegener Miene nach einem Wasserkrug.
»Maria Malibran«, sagte Nicholas kaum hörbar.
Constantin hatte auch ohne diesen Hinweis an die viel zu früh gestorbene Ausnahmesängerin
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