Gib mir deine Seele
ihr Freund.
Leider ist er das nicht. Woher kam nur dieser Gedanke? Sie musste vollkommen verrückt geworden sein, so etwas überhaupt in Betracht zu ziehen.
»Da seid ihr ja. Das Millennium Wheel ist sensationell, oder?« Henry zeigte auf das mit unzähligen farbigen Lämpchen beleuchtete Riesenrad, das wie ein mächtiger Wächter über dem Weihnachtsmarkt thronte. »Janice habt ihr gerade verpasst.« Henry neigte dazu, viel zu reden, wenn sie nervös war. »Willst du uns nicht vorstellen?«
»Ich habe nur darauf gewartet, dass du mich zu Wort kommen lässt. Also, das ist Henry, eigentlich Henriette Kaufmann, beste Freundin und Mezzosopran aus Deutschland.«
»Ja, klar. Mit Betonung auf Mezzo. Anderenfalls wären wir auch nicht so gut befreundet. Sopranistinnen neigen zur Missgunst, müssen Sie wissen.«
Pauline lachte verlegen. »Lass das mal lieber Janice nicht hören.«
»Aber deswegen sage ich es ja.« Henry zwinkerte ihr zu. »Und Sie sind also Constantin Dumont, Paulinchens Lebensretter?«
»Hat sie das behauptet? Ihre Freundin übertreibt maßlos.« Constantin schien zum Glück keine Probleme mit Henrys vorlautem Mundwerk zu haben. Er beugte sich vor und schüttelte die dargebotene Hand. »Auch so ein Sopranistinnen-Ding, schätze ich?«
»Absolut. Ich sehe, Sie kennen sich aus.« Henry ließ eine Entschuldigung folgen und wandte sich einer Gruppe junger Frauen zu, um ihnen frisch zubereitete Poffertjes anzupreisen. Kleine, süße Pfannkuchen, die genau genommen keine deutsche, sondern eine holländische Spezialität waren. Doch das störte hier niemanden. Mit Zuckerwatte in der Hand kehrte sie zu ihnen zurück. Während Constantin dankend ablehnte, konnte Pauline nicht widerstehen und griff zu.
»Meine Chefin guckt schon streng, ich muss weiterarbeiten.« Henry wandte sich an Constantin. »Nett, Sie kennengelernt zu haben. Sie müssen uns mal besuchen kommen!« Damit zwinkerte sie ihnen zu und fragte laut: »Wer ist als Nächstes dran?«
»Bloß nicht!«, stöhnte Pauline in ihre Zuckerwatte.
»Du willst nicht, dass ich euch besuche?«
»Nein!« Allein der Gedanke ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Was würde er über sie denken, wenn er sah, wie sie in ihren winzigen Zimmern hausten? »Ich meine das nicht so«, sagte sie hastig, als sie bemerkte, wie unfreundlich ihre Antwort klingen musste. »Es ist nur …«
»… dass du einen Mann und fünf Kinder zu Hause sitzen hast.« Kleine Fältchen bildeten sich in seinen Augenwinkeln. Er lachte sie aus.
Dennoch kam es ihr so vor, als hätte die Bemerkung einen ernsthafteren Hintergrund. Wollte er etwa wissen, ob sie gebunden war?
»Genau. Jetzt ist es raus, zum Glück. Ich wusste nicht, wie ich es dir beibringen sollte.« Verlegen zupfte sie an ihrer Zuckerwatte. Es gelang ihr allerdings höchstens für Sekunden, ernst zu bleiben, dann riss sie übermütig ein größeres Stück aus dem Gespinst in ihrer Hand und hielt es Constantin vor die Nase. »Hier, ein Trostpflaster.« Wenn er sich wirklich für sie interessierte, konnte er ebenso gut gleich von ihren Lastern erfahren.
Nach einem verzweifelt wirkenden Blick gen Himmel kostete er von der klebrigen Leckerei. »Mhm, süß!« Er leckte sich die Lippen und riss ebenfalls ein Stück Zuckerwatte ab, um es nun ihr anzubieten. Dabei berührten seine Finger, ob zufällig oder absichtlich war nicht auszumachen, ihren Mund.
Die Leute drängten sich immer dichter zwischen den Markt ständen, ein kalter Wind kam auf, und es hatte zu schneien begonnen. Pauline merkte nichts davon. Seine magisch blauen Augen entführten sie an einen anderen Ort, in eine andere Zeit. Wie in Trance tat sie es ihm gleich, und als sie dieses Mal nicht ganz so zufällig seine Lippen streifte, ergriff er ihr Handgelenk, hielt es fest und küsste ihre Fingerspitzen, sodass der Zucker in ihrem Bauch karamellisierte. In diesem Augenblick war es um sie geschehen.
Unwillkürlich lehnte sie sich ihm entgegen, wünschte sie mehr als nur diese zarte Berührung, und ihre Augenlider flatterten im Takt des Herzschlags, als sie seine Hand auf ihrer Taille spürte …
Ein Summen ertönte. Pauline blinzelte irritiert und sah auf die steile Falte, die sich zwischen Constantins Augenbrauen gebildet hatte.
Das Geräusch wurde lauter. Er murmelte eine Entschuldigung, zog das Smartphone aus seiner Manteltasche, sah aufs Display und nahm den Anruf mit einem ziemlich schroffen »Ja?« entgegen.
Das Telefonat war kurz, und als er sie wieder
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