Gib mir deine Seele
mehr.« Constantin führte sie auf die andere Seite der Gondel, ganz dicht an die Scheibe heran.
Pauline hielt sich am Geländer fest, das rundherum lief und ebenso Sicherheit versprach wie die Hand auf ihrem Rücken. Federleicht lag sie genau in Taillenhöhe, und sie wagte kaum zu atmen, aus Furcht, er könnte sie wieder fortnehmen. Wie gern hätte sie sich jetzt an ihn gelehnt. Nur für einen winzigen Augenblick seine Wärme gespürt. Regungslos stand sie da, scheinbar in den Anblick der sich weit ausbreitenden Stadt vertieft. Wortlos schien auch er seinen Gedanken nachzuhängen. Die Ah- und Oh-Rufe und das Geplapper der anderen hörte sie kaum, fühlte nur diesen eigenartigen Frieden und eine zarte Hoffnung in sich wachsen.
Viel zu schnell war die Fahrt vorüber. Benommen ließ sich Pauline von Constantin hinausbegleiten. Der Himmel wirkte inzwischen fast schwarz. Nicht weit von ihnen glitzerten Lichter, und Musik wehte herüber.
Es wurde Zeit, die melancholische Stimmung abzuschütteln. Träumen konnte sie später.
»Als Nächstes gehen wir auf einen original deutschen Weihnachtsmarkt gleich dort vorn am Ufer. Es ist wunderbar, du wirst sehen«, fügte sie sicherheitshalber hinzu, als sie Skepsis in seiner Miene zu lesen glaubte.
Zwischen den hell erleuchteten Holzbuden, die auf den ersten Blick wie die ärmlichen Verwandten bunter, amerikanischer Prachtdekoration wirkten, dann aber doch einen weihnachtlichen Zauber verbreiteten, fühlte sie sich sofort wohl. Der Duft von Tannennadeln, Lebkuchen und gebrannten Mandeln löste Erinnerungen an Wintertage auf dem Land aus. Andere Besucher schienen dies ähnlich zu empfinden. Als hätten sie nur auf den hereinbrechenden Abend gewartet, umlagerten sie in Trauben Glühweinstände, probierten kichernd »German Bratwurst « und erklärten lautstark, dass kaltes, sprudelndes Bier erst nach der zweiten »Maß « zu genießen sei. Kleine Kinder betrachteten staunend das historische Märchenkarussell, während die älteren Mädchen und Jungen sich an der Schießbude herumdrückten, Lebkuchenherzen um den Hals gehängt, deren Aufschriften »Frohes Fest« oder »I mog di« sie vermutlich ebenso wenig verstanden wie Pauline, bevor Henry sie ihr übersetzt hatte.
»Sind diese Christbaumkugeln nicht wunderschön?«
In die Farben und das Lichterspiel versunken, hatte Pauline ganz vergessen, dass sie nicht mit ihren Freundinnen aus der WG, sondern mit Constantin unterwegs war. Begeistert sah sie einem Glasbläser zu, der wundervoll filigrane Figuren schuf, und wünschte sich, sie hätte noch etwas Geld übrig, um sich eine davon kaufen zu können. Am Stand nebenan lockten Weihnachtspyramiden aus dem Erzgebirge, wie eine handgeschriebene Tafel verriet. Gegenüber bot ein Silberschmied seinen Schmuck feil. Sie wusste gar nicht, wohin sie zuerst gehen sollte.
In diesem Moment besann sie sich ihrer Gastgeberpflichten. Schwungvoll wandte sie sich zu Constantin um und stieß mit einem großen Mann in einem blauen Mantel zusammen. Prompt verlor sie das Gleichgewicht.
»Halleluja!«, sagte der Fremde und griff nach ihr.
Keine Sekunde später hatte Constantin sie am Ellbogen gefasst und an sich gezogen. »Sie entschuldigen«, sagte er mit kalter Stimme, dabei sah er Pauline an, dass ihre Knie erst recht weich wurden.
Eine freche Stimme in ihrem Inneren flüsterte: Küss mich!
Der Mann im blauen Mantel legte den Arm um seine Begleiterin, als wollte er zeigen, dass er sich nicht für andere Frauen interessierte, wünschte ihnen höflich einen guten Abend und ging weiter. Damit allerdings hatte er den Zauber gebrochen.
Schon ließ Constantin Pauline los. Immerhin lächelte er. »Wer ist die Frau, die uns dort hinten aus der Süßigkeitenbude heraus zuwinkt?«
Pauline, die einen Augenblick brauchte, um sich von der unerwarteten Nähe zu ihm zu erholen, war zuerst ratlos, dann aber sah sie, wen er meinte. »Oh! Das ist Henry, Henriette, meine Mitbewohnerin. Sie arbeitet hier nebenbei als Verkäuferin.«
»Sollten wir sie nicht begrüßen? Sie sieht schon ganz verzweifelt aus.«
»Natürlich.« Pauline fühlte sich in ihre Teenagerjahre zurückversetzt, denn sie hatte das gleiche Kribbeln in der Magengegend wie damals, wenn sie Tante Jillian einen neuen Freund vorstellen musste. Deren Kommentar war manches Mal harsch ausgefallen, und das Urteil ihrer Freundinnen würde nicht minder gnadenlos sein. Allerdings glaubte sie kaum, dass sie gegen Constantin Einwände hätten, wäre er
Weitere Kostenlose Bücher