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Gib mir deine Seele

Gib mir deine Seele

Titel: Gib mir deine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Schulter legte und sie in inniger Umarmung die gesellige Runde verließen. Hinter ihnen zitierte der Bildhauer frech George Bernhard Shaw: »Tango ist der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens.«
    Dieser Abend war der Auftakt zu einer traumhaften Zeit. Sie ritten gemeinsam aus, besuchten Avignon und die einzigartige Landschaft der Camargue mit ihren Pferden, Flamingos und Salzwiesen. Wehte der Mistral, war Pauline für die hohen Mauern dankbar, die den Wirtschaftshof umgaben und den eisigen Wind von Norden abbremsten, bevor er durch Fenster und Türen ins Haus pfiff. Der beste Platz an solchen Tagen, sagte Constantin, sei das Bett, und sie hätte keinen Grund gewusst, ihm zu widersprechen.
    Wenn er anderweitig zu tun hatte, ließ sie sich zeigen, wie man die duftende Lavendelseife herstellte, entlockte der Käsemeisterin bis dahin gut gehütete Geheimnisse ihrer Kunst und half Mia an einem Samstag beim Verkauf der Waren auf dem Markt von Uzès.
    Allmählich wurde Mas La Roseraie zu Paulines Zuhause, obwohl sie manches auch nicht verstand. Einmal fragte sie Zoé und Mia, ob sie Constantin schon als Kind gekannt hatten.
    Die beiden Frauen sahen sich an, und es kam Pauline so vor, als habe sie unerlaubt jenen »verwunschenen Garten« betreten, den der englische Bildhauer erwähnt hatte, der aber doch nichts anderes war als der kleine, von einer Mauer geschützte Park rund um ihr Appartement. Woher kam dann dieses bedrückende Gefühl, das sie auf einmal befallen hatte?
    »Die Sprösslinge hiesiger Großgrundbesitzer besuchen Luxus-Internate in England, während wir einfachen Bauern in der Dorfschule gequält werden.« Mia verdrehte die Augen.
    Zoé warf ihrer Tochter einen ärgerlichen Blick zu. »Er kommt fast nie hierher …«, sagte sie, als wäre sie sich ihrer Sache nicht sicher.
    Als Pauline nach seinen Eltern fragte, für die die Perrauds dann ganz gewiss auch gearbeitet hatten, erhielt sie eine rätselhafte Antwort: »Wen die Götter lieben, den holen sie früh zu sich.«
    Danach wischte sich Zoé resolut die Hände an der Schürze ab und scheuchte sie aus der Küche, um »nach Monsieur« zu sehen. Sie hatte sehr klare Vorstellungen von den Rollen der Bewohner dieses Hauses, und dazu gehörte auch, dass sie wie selbstverständlich verlangte, die junge Hausherrin habe sich in erster Linie dem Wohlergehen ihres Mannes zu widmen.
    Pauline war dankbar, der seltsamen Atmosphäre entfliehen zu können, die durch ihre Fragen entstanden war. Zoés Zitat blieb ihr jedoch lange im Gedächtnis. Ihr kam es vor, als wären nicht nur Constantins Eltern, sondern auch sie selbst damit gemeint gewesen.
    An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Pauline lag sicher in ihrem Bett, doch Constantin war ruhelos. Zu Toussaint hatten sie die Kirche besucht und Chrysanthemen auf dem kleinen Friedhof abgelegt, auf dem die Menschen hier seine Vorfahren vermuteten. Allerheiligen gedachte man eben der Toten, auch wenn es für ihn niemanden zu betrauern gab.
    Constantin hatte zwar seine Kindheit im Süden Frankreichs verbracht, aber er war in einer anderen Region geboren worden und erinnerte sich kaum noch an seine Familie.
    Die Vorboten der Jahreszeiten jedoch hatten sich tief in sein Bewusstsein eingebrannt, und in diesem Jahr spürte er nicht nur den nahenden Winter – er fürchtete ihn. Darüber, dass es bald so weit war, konnten auch die milden Tage in Mas La Roseraie nicht hinwegtäuschen. Heute Nacht spürte er die Kälte stärker als üblich. Die Zikaden schwiegen, und über ihm wölbte sich sternenklar der Himmel. Als er von seinem Platz auf der Terrasse in den Himmel blickte, hing der Mond blass zwischen den Zypressen. Zum letzten Mal Vollmond, bevor die Götter ihren Preis einforderten, und Constantin hatte noch immer keine Lösung gefunden … weil es keine gab.
    Der Gedanke an ihre Zukunft drückte ihm das Herz ab. Wie hatte er sich nur auf diesen mörderischen Deal einlassen können? Doch die Frage war müßig. Damals hatte er nicht gewusst, was ihm dieses fantastische Jahr bringen würde. Pauline war nicht mehr als eine reizvolle Herausforderung gewesen, ein Job, den er erledigen musste, um am Leben zu bleiben.
    Keine Wahl gehabt zu haben, war ihm nun ein geringer Trost. Jemand wie ich hat immer eine Wahl , dachte er unglücklich. All jenen dagegen, die er als Muse begleitet hatte, war es nicht vergönnt gewesen, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden. Wie viele der leidenschaftlichen, zu jung gestorbenen

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