Gib mir deine Seele
erkannte er auch den darauf abgebildeten Ring. Es hatte begonnen.
»Seit wann sitzt du hier?«
Teilnahmslos sagte sie: »Ihr seid vielleicht zwei Stunden fort gewesen …«
»Ich hole dir etwas zu essen. Dann reden wir.« Constantin stand auf.
Nun sah sie ihn immerhin an, machte aber keine Anstalten, selbst aufzustehen. »Ich habe keinen Hunger.«
»Doch, das hast du. Ich werde deine Fragen beantworten – aber nicht, bevor du nicht gegessen und getrunken hast.«
Die Küche war glücklicherweise leer. In fliegender Hast bewegte er sich durch den schwach beleuchteten Raum, nahm schließlich ein Tablett, belud es und kehrte zu ihr zurück. Pauline saß immer noch in derselben Haltung da. Mit wenigen Handgriffen deckte er den Tisch und schob ihr einen Teller mit dampfender Suppe zu.
»Ein Hoch auf die Mikrowelle. Das hat es zu deiner Zeit garantiert nicht gegeben … Konstantin Vandenberg.«
Er griff nach einem Stück Brot. »Und auch keine Zentralheizung. Was möchtest du noch wissen?«
»Mach dich nicht über mich lustig!«, fauchte sie ihn an. »Ich will alles wissen. Von Anfang an.«
»Der Anfang ist schnell erzählt. Ich bin in der Provence geboren, jemand erkannte mein Talent und nahm mich mit nach Paris, ein anderer brachte mich schließlich nach Flandern. Dort wurde ich Schüler eines angesehenen Malers.«
Pauline unterbrach ihn. »Das ist sehr kurz. Aber wie du willst. Wann war das?«
»Barock«, sagte er. »Frag mich nicht nach Jahreszahlen. Ich weiß nicht mehr viel von den Anfängen.«
»Dann erzähl mir von dieser Frau im Bordell.«
Kurz schloss er die Augen. Pauline erinnerte sich natürlich an diese Geschichte. »Das war Erato. Eine der neun Musen«, fügte er hinzu. »Sieh mich nicht so an. Ich wollte es zuerst auch nicht glauben.«
Etwas Härteres als der Wein in seinem Glas würde jetzt gut tun. Regungslos ließ er den Löffel über seinem Teller schweben und beobachte dabei Pauline.
Sie hatte die Suppe aufgegessen und griff nun nach den Käsewürfeln, die er ebenfalls in der Speisekammer gefunden hatte.
»Und?«, fragte sie mit vollem Mund wie ein Kind, das nicht erwarten konnte, das schaurige Ende der Gute-Nacht-Geschichte zu hören.
»Mein Meister hat mir eingebleut, dass nur harte Arbeit und Fleiß zum Erfolg führen. Ich war keine zehn Jahre alt, als ich zu ihm kam. Musen kamen in meinem Vokabular gar nicht vor.«
»Aber du hast sie gefickt.«
Beinahe hätte er sich an der Suppe verschluckt. »Auch. Aber in erster Linie habe ich geglaubt, sie sei die Liebe meines Lebens, und noch viel schlimmer: sie würde meine Gefühle erwidern.«
»Hat sie aber nicht, ich weiß. Was war dann?« Pauline sah ihn vollkommen ausdruckslos an und spießte einen weiteren Käsewürfel mit ihrem Messer auf.
Er nahm sich Zeit, Brot ins Öl zu tauchen und mit der anderen Hand in die Schüssel mit Oliven zu greifen. »Ich wurde wieder verkauft.«
Kurz hielt sie in der Bewegung inne. »Wie kam das?«
»Bildende Künstler gehören eigentlich nicht ins Beuteschema der Musen. Musik, Theater, Gesang … Der Rest ist Handwerk. Sklavenarbeit. Erato hat mich benutzt und damit offenbar Zeit vertrödelt, die sie den Wünschen ihres Auftraggebers hätte widmen sollen. Wir wurden beide bestraft. Apollon, der Herr der Musen, belegte sie mit irgendeinem Bann. Artemis, das ist seine etwas krawallige Schwester, fand Gefallen an mir. Sie zeichnete mich als ihren Besitz und seither …«
»Artemis, das ist die Mondgöttin, mit deren Symbolen du mich gefesselt hast.« Pauline wies auf ihre Taille.
»Ich habe gehofft, dass du damit unter ihrem Schutz stehst«, gab er zu.
»Aber sicher bist du dir damit nicht?«
»Nein. Doch …« Er zögerte. »Sie scheint es damit durchaus ernst zu meinen, aber sie hat auch gewettet, dass ich dich innerhalb eines Jahres auf den Höhepunkt deiner künstlerischen Leistung bringen kann.«
»Das verstehe ich nicht. Wieso …?«
Ruhig erwiderte er ihren Blick, bis sich plötzlich Begreifen in ihrem Gesicht abzeichnete. Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs zeigte sich ein Gefühl darin: Seelenschmerz.
»Du bist auch eine Muse! Und wenn deine Früchte reif sind, erntest du sie?« Pauline drehte das Leinwandstück in ihrer Hand. »Hast du jedes deiner Opfer gemalt?«
»Ich inspiriere die Künstler, ebne ihnen den Weg, wenn es sein muss, aber es ist ihr Ehrgeiz, der sie vorantreibt. Für den Erfolg verkauft manch einer seine Seele.« Er schwieg kurz. »Wenn sie den Höhepunkt
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